Die Markgrafschaft Perricum
»Als ich im tiefen Schatten vor den Langen Mauern Perricums stand, die den Himmel zu verdecken schienen und den Blick auf die Sonne verdunkelten, als ich auf den Zinnen in schwindelnder Höhe die Helme der Wachen von ferne allenfalls blinken sehen konnte, als mich der durch die Steine gebändigte Wind frösteln ließ, da erschien es mir selbstverständlich, dass es eines Wunders der Göttin Rondra bedurfte, diese Gigantenmauern niederzureißen. Doch wie groß mögen jene damals gewesen sein, sind doch die heutigen Mauern verglichen mit den alten nur kleine Steinhaufen! Ich empfand große Ehrfurcht und gleichzeitig Unbehagen im Angesicht der riesigen Statuen am Darpatufer, als ich in die Hafenstadt ritt. Wessen Gesicht starrte mich da an, vom Kinn bis zur Stirn so groß wie ich auf meinem treuen Rappen? Welche Völker und Wesen mögen die monumentalen Festungen und Paläste erschaffen haben, wenn der Anblick der Ruinen, auf denen ein neues Perricum erstand, noch Mark erschütternd ist?
Dank sei den Göttern, dass ich meine Schritte heute in dieses Land der Giganten lenkte, wo alles gewaltig zu sein scheint, und nicht damals, als die Hoffahrt der Menschen sie zu Bauten anspornte, deren Stufen offenbar bis nach Alveran selbst reichen sollten. Solch eitles Ansinnen mussten die Götter strafen.«
-aus dem Reisebericht des Kusliker Hesinde-Geweihten Alessandrian Arivorer, 1007 BF
Südlich des Darpat weisen monumentale Relikte, mächtige Ruinen und bombastische Bauwerke auf einige der größten und ältesten menschlichen Kulturen hin: auf das sagenumwobene Reich der Sumurrer, das einstige Nebachot und auf das Bosparanische Reich. Die Zeugnisse dieser Kulturen finden sich in der von ihnen geprägten Landschaft wie auch in der Mentalität des Völkergemischs, das sich Perricumer nennt.
Perricum ist heute Bastion des Reiches und Tor in die tulamidische Welt im Süden sowie in die Schwarzen Lande nach Osten, also eine Grenzregion und dennoch weltoffen und offenherzig. Die Bedrohungen aus den Schwarzen Landen und der Blutigen See treffen zudem auf eine Bevölkerung, die seit den frühesten Tagen Heim und Herd mutig und opferbereit gegen jegliche Gefahr verteidigt hat. Unabhängig davon, ob sie sich auf Rondra, Kor oder Travia berufen, Kämpfernaturen sind sie alle.
Die Markgrafschaft zeichnet sich durch ihre Mehrschichtigkeit aus; Hort geheimnisvoller Altertümer, Handels-und Grenzregion, Völkergemisch, traviagefällige Gastfreundschaft und kriegerische Wachsamkeit. Das Völkergemisch und die archaischen Praktiken der Nebachoten in Konflikt mit den Mittelreichern führen zu Stammesfehden, Aufständen und Blutrache, und heilige Orte, mystische Plätze oder schlicht militärische Bollwerke werden von Osten bedroht und bedürfen des Schutzes. Eine vielseitige mythische Vergangenheit und eme Mixtur unterschiedlicher Völker führen zu einer besonderen Form des Glaubens in den Landen der Darparmündung.
Die eigenwillige Spiritualität der Perricumer Tulamiden, die Präsenz der Rondra-Kirche, die religiösen Praktiken der Bergvölker aus dem Raschtulswall und den Trollzacken und schließlich die beständige existenzielle Bedrohung aus der Warunkei zeichnen in besonderem Maße verantwortlich für die Hinwendung der Perricumer zu ihren jeweiligen Göttern, meistens den Zwölfgöttern. Wanderprediger, als Orakel bekannte Persönlichkeiten und heilige Orte sind keine Seltenheit. Die Reichsstadt Perricum ist immer noch der größte Hafen des Mittelreiches. Die aus den Kriegen der Vergangenheit gerettete Flotte liegt hier und der Fernhandel zwischen Mittelreich und dem östlichen Kontinent wird zu großen Teilen über die Stadt abgewickelt.
Politisch ist die Markgrafschaft weit entfernt davon, eine gewachsene Region zu sein. Denn auch wenn die Marktflecken der ehemaligen Lehen Landgrafschaft Trollzacken und Edel-Grafschaft Perricum schon vorher voneinander profitieren, wurden die Baronien beider Grafschaften erst jüngst zu einer Markgrafschaft zusammengefasst. Die sich aus den Gegensätzen ergebende Spannung in den Beziehungen zueinander ist zwischen den Würdenträgern und Adligen beiderseits des Darpars beinahe greifbar. Quer durch alle Interessengruppen ziehen sich Ablehnung respektive Zustimmung zu den politischen Umwälzungen. Die mangelnde Loyalität zum neuen Markgrafen oder die Verachtung gegenüber einem neuen Nachbarn stiften Unruhe - und damit Anlass für Intrigen, Überfälle, Umstürze und Morde.
Die Bildung der Markgrafschaft hat vollkommen unterschiedliche Länder und Menschen zusammengeführt, und das Zusammenwachsen zu einer Identität stellt sich beiderseits des Darpats schwierig dar.