Die vier Freunde, Marin, Psagaros,
Bartholomeus und Junye’na, reisten bereits seit einigen Jahren gemeinsam durch
das Land. Auch wenn sie noch längst keine allzu berühmten Abenteurer waren, so
hatten sie sich doch bereits bei manchen Bürgern einen guten Namen gemacht und
waren in einigen Teilen des Landes sogar sehr beliebt. Eine Gruppe wie die
ihre, die aus Menschen, Elfen und Zwergen bestand, sah man nicht alle Tage.
Auch wenn viele Söldnergruppen aus durchaus unterschiedlichen Rassen bestehen,
werden der Einfachheit halber, nur gleiche Kämpfer ausgeschickt. Für zu groß
hat man die Unterschiede zwischen den Völkern gehalten, als dass tatsächlich
erfolgreiche Gruppenkämpfe mit ihnen hätten geplant werden können. Und, auch
wenn sie nur eine kleine Gruppe waren, so war es doch ihre Neugier und
Abenteuerlust, die sie weit herumziehen ließ. Zumindest in Gebiete, in denen
keiner der Vier bisher gewesen ist. So mieden sie die Hauptstadt Leramar,
ebenso wie das Reich der Elfen, und auch die kargen Steppen, die an die
Höhleneingänge zu Nekk Khuldor führten. Sie reisten durch alle möglichen
Dörfer, halfen so vielen, wie sie nur konnten und machten die Welt zu einem
besseren Ort. Zumindest waren sie selbst davon überzeugt, und das war es doch,
was schlussendlich wichtig war.
Doch es gingen ihnen immer mehr Orte
auf dem Kontinent aus, als dass sie hätten problemlos weiterreisen können, ohne
eines ihrer vermiedenen Ziele aufzusuchen. So saßen die Vier eines Nachts
gemeinsam um das Lagerfeuer ihres immer noch recht spärlichen Nachtlagers und
brüteten über der Karte des Kontinents.
„Nun ja. Ich will eigentlich nicht
zurück nach Leramar, wenn es sich vermeiden lässt. Aber es wird wohl auch nicht
schaden, wenn wir zurück zur Abenteurer-Gilde gehen.“, schlug Psagaros vor.
„Und wer weiß, vielleicht finden wir dort wieder einige hoch interessante
Aufträge, die uns sogar bis weit über die Grenzen von Ibalania bringen!“
„Die Hirten Ibalanias verlassen ihre
Weide? Ist das nicht schon ein bisschen merkwürdig?“, antwortete Junye'na
schmunzelnd.
„Es bleibt nun mal leider wirklich
nicht viel anderes übrig. Ich meine, wir waren uns alle sicher, dass wir Neues
entdecken wollen.“ Marin runzelte die Stirn.
„Eben darum ist die Stadt vielleicht
der beste Anlaufpunkt. Es gibt einen riesigen Hafen, der uns tatsächlich auf
andere Kontinente führen könnte! Stellt euch nur mal vor, dass wir den riesigen
Ozean überqueren und wahrhafte Weltenbummler werden! Es gibt dort bestimmt so
viel zu sehen und zu lernen!“
„He, ihr wisst, dass ich kein großer
Fan von tiefem Wasser bin. Das ist nichts für einen Nichtschwimmer wie mich.“,
auch Bartholomeus brachte sich in die Diskussion ein. „Ich weiß, ich weiß. Mit
zwei Magiebegabten, was soll da schon jemandem wie mir auf dem Wasser
passieren? Im besten Falle nichts. Außer euch zwei passiert vorher was, tse.“
„So weit lassen wir es nicht kommen,
Bartholomeus. Wir kämpfen einfach wie immer. Du und ich vorne, und die beiden
passen von hinten auf uns auf.“
„Das ist richtig. Wenn wir auf Land
sind. Was glaubst du, drohen uns für Gefahren, wenn wir auf einem Stück
Holz durch die Wellen treiben? Da ist der Feind nämlich unter uns. Oder hinter
uns. Oder einfach überall. Hast du schon einmal versucht, dein Schwert unter
Wasser zu schwingen? Glaub mir, das ist alles andere als leicht.“
„Oh, ich frage wohl besser nicht nach,
woher der Zwerg das weiß.“ Junye'na beugte sich etwas vor und besah sich
die Karte etwas genauer. „Na gut, wir müssen ja nicht auf einen anderen
Kontinent. Wir wäre es mit der Insel Alelahar? Die gehört auch zu Ibalania, wir
waren nur noch nie dort.“
Die beiden Menschen tauschten einen
vielsagenden Blick.
Psagaros räusperte sich, bevor er zögerlich
zu erklären beginn: „Ähm… Ich gehe davon aus, dass du das gar nicht wissen
kannst. Aber diese Insel ist…. Nun ja. Früher war sie von Wilden bewohnt.
Unzivilisierte Barbaren, die jeden töteten, der sich ihnen näherte. Erst vor
einigen Jahrzehnten hat die königliche Garde aus Leramar den Kommandanten
Christopher Ratyn Oris von Thensenhain ausgesandt, um die Wilden in den Griff
zu bekommen. Das war der bis dahin blutigste, aber auch erfolgreichste
Schlachtzug des menschlichen Militärs hier. Von Thensenhain hat ganze 8 Jahre
gegen die Unholde gekämpft, und mit jedem Jahr ein Stück mehr Land erobert. Bis
sie dann schlussendlich die Stadt Bellhast bauten, mit ihren eindrucksvollen
Mauern, die voll und ganz denen von Leramar nachempfunden sind, um die übrig gebliebenen
Widersacher dazu zu bringen, ihre Ausdauer bei den Angriffen gegen die
befestigte Stadt aufzubrauchen.
Und endlich, nach so vielen Jahren,
hatte er Erfolg. Die Wilden, die noch übrigblieben, wurden zuerst gefangen
genommen, als Kriegsgefangene. Doch schon bald sollten eben genau diese nicht
mehr nur Gefangene sein, sondern als Beispiel dienen, für den Aufbau der
Zivilisation, der Vernunft und des Wissens, das sich die Menschen, zusammen mit
den anderen Völkern angeeignet hatten. Als kleiner Beweis für den Fortschritt,
den all die Bündnisse der Vergangenheit uns gebracht haben. Und vermutlich
auch, um die Überlegenheit den wenigen rebellischen Überlebenden zu
verdeutlichen.
Aber, um wieder zurück zum eigentlichen
Thema zu kommen… Die Insel hat keinen besonders guten Ruf, und auch wenn die
von Thensenhains die Insel und die Stadt regieren, sollen sich dort immer noch
genug Wilde herumtreiben, die es auf Reisende des Festlandes abgesehen haben,
und wer-weiß-was mit ihnen anstellen.“
Marin nickte zögerlich, während
Bartholomeus und Junye'na die beiden nur fragend anblickten.
„Okay… Hast du etwas dagegen, Psagaros,
wenn du mir noch einmal erklärst, warum wir als Abenteurer, die solche Banditen
und gefährliche Kreaturen jagen und unschädlich machen, Angst vor dieser Insel
haben sollen?“
Er sah zu ihr und man konnte in seinem
Gesicht ablesen, dass er gerade sehr genau über das nachdachte, was sie soeben
gesagt hatte.
„Weil. Also, weil es halt gefährlich
ist.“, fing er zögerlich an. „Oh.“
„Es tut mir leid, alter Freund, aber
die zwei haben absolut Recht. Wir haben nie daran gedacht, auf die Insel zu
reisen, weil wir von Klein auf diese Gruselgeschichten gehört haben. Dabei ist
das doch wirklich genau das, was für uns wichtig ist. Was wir tun wollten als
Abenteurer. Wilde bekämpfen, die die Sicherheit derer stören, die nicht auf
sich selbst achten können.“ Marin legte seinem Freund eine Hand auf die
Schulter.
Sie nickten allesamt stumm, bis sie
gemeinsam lachten. Das Feuer flackerte kurz auf, so als ob der aufkommende Wind
ihnen zustimmen wollte.
„Also gut, dann ist es wohl
beschlossene Sache. Die Hirten Ibalanias reisen nach Alelahar. Um dem Problem
mit den bösen Menschenräubern auf den Grund zu gehen! Oder so!“
Am nächsten Morgen, als die Sonne
gerade erst aufgegangen war, stand Junye'na allein vor den Resten des
Lagerfeuers. Als Elfe, die deutlich weniger Schlaf brauchte als ihre Kameraden,
war sie häufig diejenige, die die letzte Wache übernahm, um ihren Freunden so
viel Schlaf wie möglich zu bringen. Sie streckte sich und sah verträumt zum
Horizont, der sich ob der Sonne in ein goldenes Licht getaucht hatte, und
genoss diese Minuten der absoluten Stille, wenn die Nacht vergangen ist, aber
das Leben des Tages noch nicht ganz erwacht war. Der Tau, der sich bereits auf
einigen der Gräsern und vielen Blättern gebildet hatte, funkelte wie tausende
wunderschöne Perlen, die sie Tag um Tag beobachtete und in deren Glanz sie sich
immer wieder verlor. Es waren nur wenige Sekunden, in denen sie diesen Anblick
bewundern konnte, doch es war ihre absolute Lieblingszeit. Eine Zeit voller
Frieden und Ruhe, bevor sie mit ihrem Tagwerk weitermachten und reisten und
kämpften und redeten. Es stimmte zwar, dass sie in ihrer Kindheit im Elfenreich
immer wieder von jungen Elfen gehört hatte, die nicht in ihre Heimat
zurückkehrten, doch hätte sie niemals gedacht, dass sie diese Verrückten eines
Tages so gut verstehen könnte. Diese Welt, diesen Anblick, diese Minuten der
Stille. All das würde sie im tiefen Wald nicht sehen. Die Natur zeigte ihnen
zwar die Sonne, aber es gab keine goldenen Perlen auf dem Gras oder den
Blättern. Das sind kleine Wunder, die sie nur hier draußen sehen konnte.
Hinter ihr regte es sich, und der
Paladin Marin kam gerade aus dem Zelt gekrochen, das er sich mit den anderen
beiden Männern teilte. Für gewöhnlich war er es auch, der zuerst wach war.
Vermutlich eine alte Gewohnheit aus seinen Zeiten in der Stadt. Die Disziplin,
die er im Orden gelernt hatte, wollte er auch als Abenteurer nicht ablegen, das
war ihm außerordentlich wichtig. Er murmelte ein hastiges guten Morgen,
bevor er sich an die noch heiße Glut setzte und vorsichtig darin
herumstocherte.
Die beiden verbrachten viele Morgen
genau so, in dieser einfachen Stille, in denen sie lediglich stumm ihre eigenen
Rituale taten. Marin entfachte das Feuer erneut, damit sie noch eine
Kleinigkeit frühstücken konnten, und Junye'na setzte in der Zwischenzeit einen
Tee auf, den sie aus den Kräutern braute, die der Wald ihr schenkte. Und ebenso
wie an allen anderen Tagen vorher, waren sie mit alledem fertig, bevor auch der
Zwerg das Zelt verließ. Bartholomeus grummelte nur vor sich hin, rieb sich den
Schlaf aus den Augen, und griff wortlos nach dem Krug mit dampfendem Tee, den
ihm die Elfin hinhielt. Er nahm einen großen Schluck, ehe ihm einfiel, dass es
ziemlich heiße Brühe war, die er dort trank, und er schnell genug den Krug von
den Lippen nahm, bevor er sich den kompletten Rachen verbrannte. Das war sein
eigenes kleines Morgenritual, auch wenn es das mit Abstand schmerzhafteste war.
Die drei bereiteten gemeinsam das
Frühstück vor, mit was auch immer an Essen sie übrighatten, und losten aus, wer
den Magier wecken durfte. Heute hatte, wie merkwürdigerweise viel zu häufig,
Bartholomeus verloren. Die beiden anderen füllten die Schüsseln bereits mit
Essen, während er widerwillig aufstand und gebückt wieder ins Zelt hinein
watschelte. Er seufzte einmal tief, dann zog er mit einem schnellen Ruck das
Kissen des Magiers unter seinem Kopf weg und brüllte ihm im gleichen Moment
lauthals in die Ohren „He, aufwachen Bürschchen! Es ist Morgen und wir wollen
gleich aufbrechen!“. Psagaros schlug erschrocken die Augen auf, sah den Zwerg
an und murmelte selbst ein, zwei Worte. Sofort ergoss sich ein riesiger Schwall
Wasser über dem Kopf des Zwerges, während Psagaros selbst wieder in den Schlaf
sank. Glücklicherweise kannte Bartholomeus allmählich dieses Spielchen,
ignorierte das Wasser und zog den Magier ganz einfach am Schlafittchen hinter
sich her. „Ja ja, du bist ein Gelehrter der Arkanen Künste und du brauchst
deinen Schönheitsschlaf. Den kannst du haben, wenn du wieder in deinem
gemütlichen Zauberturm sitzt, hier draußen gelten aber andere Regeln.“
Schlussendlich ließ er den anderen unsanft auf den Boden vor dem Zelt fallen,
stapfte an seinen Platz zurück und nahm sich eine Schüssel mit Essen, während
er das Wasser aus seinen Haaren und dem Bart schüttelte.
„Guten Morgen Psagaros. Essen und Tee
sind bereit, es fehlt nur noch jemand, der sie nimmt.“ Junye'na kniete neben
dem allmählich wach werdenden jungen Mann. „Na komm schon. Die Vögel sind
bereits wach und wir müssen heute noch eine ganze Strecke laufen.“
Dieser brummte nur etwas in die Wiese
vor sich, ehe er sich aufrappelte und kurz benommen sitzen blieb. Seine Freunde
sahen ihn nicht einmal mehr an, sie hatten ihm lediglich eine Schüssel und
einen Krug zur Seite gestellt und etwas Platz um das knisternde Feuer gelassen.
Er schüttelte kurz seinen Kopf, dann richtete er sich auf, nahm Speis und Trank
und begann nun auch mit dem Frühstücken. Das Aufwachen hatte heute
ausnahmsweise mal wirklich gut funktioniert.
„Wir sollten heute Abend in Leramar
ankommen, mit etwas Glück schaffen wir es sogar noch vor dem Schließen der Tore
in die Stadt und können die aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen der Stadtwache
umgehen. Dann sollten wir schnellstmöglich ein Gasthaus suchen und anschließend
in der Gilde vorbeischauen. Und morgen früh gehen wir bei Sonnenaufgang direkt
zum Hafen und besorgen uns eine Überfahrt zur Insel. Das ist noch einiges, was
wir tun müssen, aber ich bin ziemlich sicher, wenn wir in dem Tempo weiter
machen, sollte das alles kein Problem sein.“ Marin studierte ihre Karte
eingehend, während er wie ein Wasserfall den Tagesplan ausplapperte. Sie waren
sich einig, dass der Hafen in Leramar die beste Anlaufstelle für eine Überfahrt
zur Insel war. Auch wenn manche Dörfer an der Küste ebenfalls über Schiffe und
Häfen verfügten, waren es doch vor allem Fischer, die auf dem Meer unterwegs
waren. Allesamt ohne wirkliche Schiffe, mit denen man über die See fahren
konnte. Auch wenn man die Insel vom Festland schon sehen konnte, besonders den
Mammutgipfel, waren es doch beinahe zwei Tage, die die Überfahrt mit einem
Schiff dauerte. Zumindest wenn man im Hafen der Insel anlegen wollte. Auch wenn
es dort noch keinen wirklich ausgebauten Hafen gab, lediglich einige Docks, die
die dortigen Bewohner angelegt hatten. Sie waren gerade dabei, eine Stadt am
oberen Rand der Insel zu gründen, aufgrund der günstigen Lage als wichtiger
Handelspunkt zwischen dem Festland und Alelahar. Doch das alles wussten die
vier noch nicht, sondern sollten sie bald genug erfahren.
Jetzt war ihnen lediglich klar, dass
wenig Zeit für Pausen blieb, sondern sie einfach fleißig weitermarschieren
mussten. In der Hoffnung, dass vielleicht eine Kutsche vorbeifuhr, mit der sie würden
mitfahren können. Der Grund, warum die vier übrigens selbst keine Pferde oder
Kutschen nutzten, war denkbar einfach. Da sie viel zu häufig in Wäldern oder
gar Ruinen oder Höhlen unterwegs waren, war der Aufwand und das Risiko, sich
solche Nutztiere zu halten, einfach zu groß und die Mühe nicht wert. Und bevor
sie irgendwelche Pferde oder andere Güter in die Hände von Banditen gaben, weil
sie doch nicht so achtsam waren, wie sie es gerne gewesen wären, hatten sie
sich entschlossen, einfach weiter gut zu Fuß zu sein. Das war zwar an solchen
Tagen sehr mühsam, aber die Vorteile überwogen eben doch.
Stunden vergingen, in denen sie stur
einen Fuß vor den anderen setzten, und nur dann und wann die Landschaft
betrachteten. Sie selbst unterhielten sich nicht wirklich miteinander, aus
Angst sie könnten davon noch erschöpfter werden. Und es sollte sich lohnen. Als
die Stadt noch in so weiter Ferne schien, auch wenn sie die Mauern und die Zinnen
der Türme des Königsschlosses bereits erkennen konnten, würden sie es nicht vor
Sonnenuntergang schaffen. Und das würde bedeuten, dass sie eine weitere Nacht
in ihren Zelten verbringen würden, aber eben auch weit außerhalb der die Stadt
umringenden Dörfer. Und dann gelangten sie auch erst lange nach Sonnenaufgang
hinein. Als Abenteurer zwar immer noch einfacher als als Fremde, doch eben auch
nur einer nach dem anderen in einer langen Schlange stehend. Aber alle die
diese Schlangen erreichten, bevor die Tore geschlossen werden, kamen eben noch
an diesem Tag in die Stadt.
Gerade als sie aufgeben wollten, und
sich innerlich schon eingestellt hatten, ihre Pläne etwas anpassen zu müssen,
hörten sie das Hufgetrappel einer großen Kutsche hinter sich. Neugierig sahen
sie zurück zu dem Gefährt, welches schon beinahe einem Goldtopf glich. Was dort
auf sie zuritt war nicht nur eine einfache Kutsche. Die Außenverkleidung war
mit Gold verziert und allen möglichen Farben bepinselt. Das komplette Holz,
sofern man es erkennen konnte, war mit einem edlen Lack überzogen, und auch das
Zaumzeug der vier Pferde, die das schwere Gefährt zogen, sah aus, als könnte
man mindestens das Gewicht eines Gaules in Gold dafür zahlen dürfen. Die
Gesichter von Psagaros und Marin erhellten sich. Dieses prunkvolle und
vollkommen übertrieben verzierte Gefährt kannten sie. Eine Spezialanfertigung
ihres alten Freundes Mason. Sie streckten beide die Arme aus und winkten der
Kutsche zu, die ihnen immer näherkam, um schließlich neben ihnen Halt zu machen.
Noch bevor das Rad ausgerollt war, öffnete sich mit einem Schwung die Tür an
der Seite und der Leiter der Handelszunft trat mit ausgebreiteten Armen nach
draußen.
„Ha! Wenn das nich‘ meine zwei besten
Gehilfen sind! Es ist bestimmt schon Jahre her, Psagaros, der Magier und Marin,
der Paladin! Und du bist Bartholomeus, der Krieger und ein Freund der beiden,
nich‘ wahr?“ Der Händler lachte laut und dröhnend, während er die drei Stufen
nach draußen nahm. „Was führt euch alle hier her? Zurück in die Stadt? Und wer
ist eure nette Begleitung? Ihr habt mir alle sehr viel zu erzählen!“
„Mason! Es ist so gut, Euch zu sehen!“,
Marin trat einige Schritte auf ihn zu, ebenso wie Psagaros und Bartholomeus,
nur Junye’na blieb einige Schritte hinter den dreien stehen. „Ihr ahnt gar
nicht, was für eine Rettung Ihr gerade seid!“
„Ohoho! Na, wenn das so ist, lasst uns
keine Zeit verlieren. Ihr wollt in die Stadt, nich‘ wahr? Kommt mit rein, ich
nehm‘ euch mit!“
Die vier ließen sich nicht zweimal
bitten, und kletterten erleichtert in die Kutsche, die von innen sogar noch
prunkvoller aussah als von außen. Die Sitzbänke waren mit Bordeaux-rotem Stoff
überzogen und mit gülden glänzenden Nieten befestigt. Die Sichtfenster selbst
waren mit dicken Vorhängen versehen, durch die wohl auch am Tage nicht ein
bisschen Licht hindurch scheinen konnte. Und die komplette Verkleidung im
Innenraum wirkte beinahe so, als habe man versucht, jede noch so schnörkelige
Figur mit Gold zu überziehen. Die Freunde verstauten ihre Rücksäcke und Gepäck
in einer Ecke des riesigen Innenraums und nahmen Platz. Mason betrat die
Kutsche nach ihnen und schloss die Tür hörbar, eher er an das kleine
Sichtfenster, welches nach vorne in Richtung des Kutschbockes führte, klopfte.
Kurz darauf setzte sich das Gefährt in Bewegung und auch der Händler setzte
sich zu ihnen.
„Mason, ich nehme an, Ihr arbeitet
immer noch nach dem Quid Pro Quo Prinzip. Was können wir für Euch tun, dass Ihr
uns helft, so unbeschadet und vor allem rechtzeitig, in die Stadt zu kommen?“,
fragte ihn der Magier vorsichtig. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es etwas
gibt, was wir für Euch tun können.“
„Nun ma‘ langsam! Wir sitzen ja noch
nich‘ mal richtig!“ Er lachte laut auf. „Ich hab‘ für ein paar tüchtige Kerle
wie euch immer was zu tun! Lasst und aber erst einmal in die Stadt kommen. Und
alles weitere beim Essen klären, was haltet ihr davon?“
Die vier saßen, wenn auch etwas
verdutzt, in Masons Büro. Der Händler hatte sie in die Stadt gebracht, sie aber
kurz nach Ankunft direkt wieder aus der Kutsche geworfen, um noch wichtige
Besorgungen zu tätigen, sie stattdessen aber gebeten, in seinem Büro zu warten.
Seine Hilfskräfte wüssten zwar nicht Bescheid, aber sie wüssten ja sicherlich
noch, wie sie in den Raum kamen. Viele der dort Angestellten schienen
tatsächlich neu zu sein, denn weder Marin noch Psagaros kannten irgendjemanden
dort. Sie stellten sich kurz vor, begaben sich dann aber, merkwürdigerweise
ohne wirklich aufgehalten zu werden, in das große Zimmer, in dem Mason sie
schon oft empfangen und verabschiedet hatte.
So saßen sie jetzt dort, leicht
beschämt ob der merkwürdigen Situation, auf den teuer wirkenden, aber doch
schlussendlich recht günstigen Stühlen, und tauschten dann und wann stumme
Blicke. In der Kutsche hatten sie ihm von ihren bisherigen Abenteuern erzählt,
von denen manche sogar ihren Weg bis in seine Gefilde gefunden haben. Sie
erzählten ihm von Junye'na und ihren Plänen. Von ihren Vorhaben und dem Wunsch,
noch so viel mehr von der Welt zu sehen. Und er hörte begeistert zu, nickte
dann und wann und lachte an den richtigen Stellen. Bartholomeus wollte zu dem
Zeitpunkt nichts sagen; er kannte den Händler schließlich kaum; doch kam es ihm
vor, als würde er nur höflich, nicht aber jedoch wirklich freundlich sein. Sein
Interesse schien zwar echt, seine Absichten dahinter aber unklar. Er stoß den
Gedanken von sich. Welche Absichten der Mann auch immer hatte, es tat nichts
zur Sache. Doch jetzt, in diesem Raum, war es offensichtlich, dass Mason etwas
sehr Bestimmtes von ihnen wollte und er wohl just in diesem Moment alles dafür
vorbereitete.
„Hört mal.“, grummelte er leise. „Ich
weiß, dieser Mason ist euer Freund, und er scheint auch wirklich in Ordnung zu
sein. Aber was genau will er von uns? Er hat irgendwas geplant, und ich habe
keinen Schimmer, was es ist.“
Marin kratzte sich am Kopf, während der
Magier nur tief seufzte. „Ja, ich glaube du hast Recht. Nur, wir schulden ihm
etwas, dass er uns in die Stadt gebracht hat. So wie ich ihn kenne, wird es
keine Unmöglichkeit sein, die er von uns verlangt. Aber definitiv etwas
Herausforderndes.“
Die vier grübelten noch eine Weile,
standen dann und wann auf. Junye'na machte irgendwann etwas Tee, Bartholomeus
knabberte an etwas Trockenfleisch, Psagaros blätterte in einem seiner Bücher,
und Marin zog seine Rüstung aus, um sie anschließend gut zu verpacken. Sie
sollten noch einige Zeit warten, bis Mason sein Büro betrat, doch sie hörten
ihn schon von Weitem kommen.
Er lachte laut und schallend, gab
währenddessen einige Anweisungen an die Angestellten, um dann energisch die Tür
zu öffnen. Breit grinsend betrat er das Zimmer, schloss die Tür mit einem Schlag
und hüpfte beinahe hinter seinen Schreibtisch.
„Entschuldigt bitte. Ich wollt‘ euch
nich‘ so lange warten lassen! Aber ich hab‘ großartige Neuigkeiten, für uns
alle!“
Neugierig geworden, und wohl auch etwas
aufgeregt, sahen die vier ihn aus großen Augen an, ohne ein Wort zu sagen. Er
erwiderte die Blicke kurz lächelnd, bevor er in seiner Tasche kramte und etwas
auf den Schreibtisch legte.
„Was glaubt ihr, is‘ das?“, fragte er,
triumphierend auf das Ding deutend.
Sie beugten sich etwas vor, um das was
da lag genauer in Augenschein zu nehmen. Es war ein Briefumschlag, simpel genug.
Ohne schnörkelige Verzierungen oder anderweitige Besonderheiten. Lediglich das
Wachssiegel darauf, welches einen Sichelmond unterhalb einer Krone abbildete,
umschlungen von einigen Streifen. Psagaros und Marin erkannten das Symbol
sofort, Bartholomeus und Junye'na allerdings hatten es noch nie gesehen.
„Das ist ein Brief.“, sagte die Elfin
verwirrt. „Was genau ist damit?“
„Das, liebes Fräulein, ist nich‘ nur
ein Brief!“, verkündete der Händler laut und schnappte sich den Umschlag
wieder, um ihnen das Siegel genau unter die Nasen zu halten. „Das hier is‘ ein
offizielles Gesuch des Königs höchstpersönlich! Es geht um eine der wichtigsten
Lieferungen, die wohl irgendjemand jemals machen wird!“
Er sah voller Vorfreude in ihre
Gesichter, deren neugieriger Gesichtsausdruck schnell dem von Verwirrung und
schließlich absoluter Skepsis wich.
„Mason, das ist…. Unerhört! Der König
selbst darf doch gar nicht mit den Händlern verkehren, sondern nur durch seine
Vasallen!“, begann Marin zu erklären.
„Warum glaubst du, Junge, is‘ das auch
so ‘ne wichtige Sache, häh? Einen solchen Auftrag gibt’s einfach nicht.“
Und mit einem Mal begannen Marin und
Psagaros wild durcheinander zu reden, gefolgt von Junye'na, die die beiden zu
beruhigen versuchte. Der Zwerg allerdings saß nur ruhig auf seinem Platz und
lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er sah zu Mason, dessen Grinsen sein
Gesicht nie ganz verlassen hatte.
„Da ist doch noch mehr, Händler.
Spuckt’s aus, worum geht es in dem Brief?“
Die anderen drei verstummten beinahe
sofort, sahen zu Bartholomeus, dann zu Mason.
„Hehehe! Gut erkannt! Es is‘ nicht nur
eine Lieferung, dafür bräuchte ich keine Abenteurer wie euch hier. Es wird
vermutlich ziemlich gefährlich, weil ich und keiner den ich kenne jemals einen
Fuß dorthin gesetzt haben. Aber ihr wolltet ja sowieso auf die Insel. Und je
gefährlicher, desto besser für starke Typen wie euch, nich‘?
Na gut, lasst es mich vorlesen.“
Er setzte sich in seinem bequemen
Stuhl, nahm seinen verzierten Brieföffner mit Greifenkopf, und öffnete das
Siegel.
Sir Mason
Landolf,
Es ist
mir durchaus bewusst, dass eine solche Anfrage innerhalb der Bevölkerung und
besonders für alle anderen Händler ein absoluter Frevel wäre. Dennoch sehe ich
mich gezwungen, Euch um diesen Gefallen bitten zu müssen. Es ist eine Aufgabe
von höchster Dringlichkeit, und noch wichtiger, eine von höchster Sicherheit.
Bevor Ihr also diesen Auftrag annehmt, seid Euch gewiss, dass Ihr Euch der
absoluten Geheimhaltung verpflichtet. Ich möchte Euch nicht drohen, doch lasst
mich die Warnung so präzise wie möglich formulieren: es wäre nicht das erste
Mal, dass die Krone einen Händler aufknüpft.
Doch
lasst mich nicht weiter Eure und meine Zeit verschwenden. Die Königsfamilie ist
im Besitz eines überaus wertvollen Gegenstandes, dessen genaue Bezeichnung ich
nicht in einem Brief festhalten möchte. Seid Euch lediglich gewiss, dass dieser
Gegenstand wertvoller ist als mein eigenes Leben gar. Und Ihr müsst diesen
Gegenstand zum höchsten Berg dieses Kontinents bringen. Auf den Mammutgipfel,
weit weg vom Festland, auf der früheren Insel der Wilden, Alelahar.
Wir
wissen nicht, welche Gefahren Euch unterwegs begegnen werden, oder wer von
diesem Gegenstand weiß. Was auch immer es ist, Ihr müsst dafür Sorge tragen,
dass es sein Ziel erreicht.
Ihr fragt
Euch sicher, wenn diese Aufgabe so wichtig ist, warum sendet der König nicht
die Armee? Eine Einheit Soldaten sollte als Schutz doch ausreichend sein.
Hiermit verweise ich wieder auf den obigen Punkt. Absolute Geheimhaltung. Wenn
irgendjemand, sei es politische Opposition, oder eine andere alles andere als
gut gesinnte Organisation, von diesem Auftrag erfährt, möchte ich mir nicht
ausmalen, welche Gräueltaten die Götter für uns alle bereithalten. Deshalb ist
es wichtig, dass diese Lieferung möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht,
und dennoch sicher genug ist, dass ich es in guten Händen weiß.
Ihr
Händler seid bekannt dafür, gute Arbeit zu leisten, sowohl was Diskretion als
auch Zuverlässigkeit betrifft. Und bei dem Ruf, der Euch vorauseilt, Mason Landolf,
nehme ich an, dass Ihr durchaus über die nötigen Ressourcen und geschäftlichen
Beziehungen verfügt, diese Aufgabe verantwortungsvoll und mit der korrekten
Menge an Vorsicht und Respekt zu erfüllen.
Für die
Überfahrt zur Insel wird das Königshaus in Gänze aufkommen, sodass Ihr Euch
zumindest darüber keine Gedanken machen müsst, doch jegliche weitere Kosten
liegen bei Euch. Wenn zu viel Gold den Besitzer wechselt, ohne dass eine
sichtbare Gegenleistung erfolgt, wird auch das zu viel Aufmerksamkeit auf das
Vorhaben lenken. Doch seid Euch sicher, Ihr werdet fürstlich, ach nein,
königlich für Eure Mühen und erfolgreiche Arbeit entlohnt werden.
Hochachtungsvoll,
König
Jonathan Morley Adamus de Payne I.
Mason sah von dem Brief auf, als er
fertiggelesen hatte und blickte erneut in die stummen Gesichter der vier
Abenteurer. Er musste gar nicht mehr sagen. Allein die Tatsache, dass er ihnen
diesen Brief vorgelesen hatte, war Beweis genug, was er ihnen damit sagen
wollte. Ein Auftrag, noch dazu ein geheimer, und speziell vom König der Stadt
und des Menschenreiches angefragter. Eine größere Ehre würde den Vieren niemals
wieder zuteilwerden, dessen waren sie sich sicher und bewusst. Und, auch wenn
ihnen selbst nicht viel an einer monetären Belohnung lag, sondern
zugegebenermaßen viel eher das Prestige, den die Erfüllung dieses Auftrages mit
sich brachte, könnte es ihnen doch womöglich Türen und ganze Schlösser öffnen,
sofern sie brillieren würden; war dies viel mehr als nur ein simpler Gefallen
und eine einmalige Chance. Dies könnte der Beginn wahren Heldentums sein.
Doch ihre kurzen Tagträume hielten
nicht lange an. Mason räusperte sich, ein, zwei, dann ein drittes Mal.
„Hört zu. Ich weiß, das klingt alles
ziemlich großartig. Und ich hab‘ dem ehrenwerten König auch bereits meine
Mitarbeit zugesichert. Ich möchte‘ wirklich nich‘, dass ihr euch in etwas rein
wagt, das vielleicht eine Nummer zu groß für euch is‘. Ich zweifle eure
Fähigkeiten nich‘ an, definitiv nich‘. Aber keiner weiß, was da drüben los is‘,
und die Infos die ich gekriegt hab‘, sind auch mehr als nur dürftig. Ich weiß
nich’ mal, was für einen Gegenstand ihr transportieren sollt. Und es klingt
alles wirklich sehr verdächtig. Ich mach‘ mir nur Sorgen, das is‘ alles.“
„Aber Mason, es muss einen Grund geben,
warum Ihr ausgerechnet uns von diesem Auftrag erzählt. Wenn Ihr es für zu
gefährlich halten würdet, hättet Ihr uns nicht davon erzählt.“, fiel dem Magier
auf. „Ich weiß Eure Sorge zu schätzen. Aber wenn Ihr uns nicht unterschätzt,
sondern uns für fähig genug haltet, diesen Auftrag seiner Majestät auszuführen,
was bereitet Euch dann Sorge?“
„He. Scharfsinnig wie eh und je. Hört
mir zu. Das hier ist etwas, das diesen Raum niemals verlassen darf, ist das
klar?“ Er sah den Magier bedeutsam an, der die Implikation verstand und knapp
nickte, ehe er allen bedeutete, näher zu kommen.
„Das dauert jetzt einige Minuten,
vergesst eure Gedanken nicht und spart euch eure Fragen auf.“, verkündete dieser,
bevor er sich wieder auf seinen Stuhl setzte und sich auf einen Zauber
konzentrierte. Schon bald waren die Vier und Mason von einer Art Kugel
eingeschlossen, aus der kein Laut nach draußen dringen konnte, sofern Psagaros
das nicht wünschte. „Jetzt können wir reden.“
Der Händler atmete einmal tief ein,
während die anderen ihn nur betrachteten. Das alles wirkte schon sehr
merkwürdig.
„Na gut.“, begann er vorsichtig. „Es
war definitiv der König, der diesen Auftrag angefragt hatte, schließlich hatte
ich eine persönliche Audienz bei ihm. Aber was auch immer es ist, dass er von
uns verlangt, wir wissen nich‘, welchem Zweck es dient. Hat er vor, eine
Geheimwaffe in Sicherheit zu schmuggeln? Will er etwa einen Krieg beginnen?
Oder ist es gar ein anderweitiger Verrat? Er hat von politischer Opposition
gesprochen, ja, doch auch von anderen Organisationen.
Was ich wohl damit sagen will, ist,
dass wir unmöglich wissen, ob wir hier bei etwas Gutem oder Bösem helfen. Es
könnte alles sein, und je nachdem, in was wir uns dort verstricken, können
unserer aller Köpfe rollen. Vielleicht nich‘ durch den Befehl des Königs, aber
wer weiß, welche weiteren Gefahren auf uns warten, politisch, barbarisch, oder
doch ganz andere.“
Niemand sagte etwas, nach seiner
Ansprache. Denn jedem war klar, was Mason ihnen erklärte. Und wenn irgendjemand
anderes diese Worte gehört hätte, wären sie noch in dieser Nacht zum Tode
verurteilt worden, wegen Hochverrats an der Krone, selbst Bartholomeus und
Junye'na. Ihnen allen hing ein riesiger Kloß im Hals, das sahen sie sich
gegenseitig an. Doch konnten sie ebenso wenig an Masons Worten zweifeln. Und,
so ungern es manche von ihnen wohl auch zugeben wollten, sie wussten einfach,
dass er mit diesen Worten Recht hatte. Es war eine einmalige Chance, so viel
war sicher. Doch waren sie bereit, für einen solchen Auftrag nicht nur ihr
Leben, sondern auch möglicherweise das ganzer Städte oder sogar Länder und
Reiche aufs Spiel zu setzen? Sie kannten den König bei weitem nicht gut genug,
weder von Erzählungen über ihn, geschweige denn, dass sie ihm irgendwann einmal
begegnet wären. Er war eine Person von so unglaublicher Wichtigkeit, dass sie
sich nicht einmal vorstellen konnten, dessen Schatten zu erreichen. Die Lage
auf dem Kontinent war zwar friedlich, doch gab es keinerlei Zusammenarbeit. Man
duldete sich, als unterschiedliche Rassen, die Orte nicht weit voneinander
entfernt bewohnten, doch das war es auch schon mit den Friedensbemühungen. So
fragil wie diese Zusammenarbeit auch war, so sicher waren sich die Einwohner
der einzelne Reiche auch, dass die Kriege der Vergangenheit ein für alle Mal
der Vergangenheit angehören würden. Zumindest war das die Hoffnung, an die sie
sich klammerten. Und Junye'na wurde sich noch einer weiteren Sache bewusst.
Hier draußen, in der Welt der Menschen, noch dazu im Herzen des Reiches dieser
Rasse, war sie bloß eine Elfin. Eine weitere spitzohrige Abenteurerin. Doch in
Asynthas, in ihrem Zuhause, war sie das nicht. Sie war die Prinzessin, und die
fähigste Anwärterin auf den Thron des Elfenreiches. Wenn sie tatsächlich etwas
schmuggeln würden, was auf einen Krieg hindeutete, wäre es ihre Pflicht, nicht
nur als eine Angehörige des Elfenvolkes, sondern auch als die Tochter des
Königs der Elfen, dies ihrem Volk zu berichten. Um einen möglichen Krieg zu
verhindern, zumindest aber um die Elfen vor dem womöglichen Blutvergießen zu
warnen. Und wenn sie das täte, was würden dann ihre Freunde tun? Die Menschen,
mit denen sie seit Jahren umherreiste. Und Bartholomeus, der Zwerg, dessen
Reich womöglich auch betroffen sein konnte? Würden sie in diesem Falle Feinde
sein? Oder würden sie diese Waffe, welche es auch immer sein mag, vernichten?
In diesem Falle wären sie alle Feinde der Krone und der Menschheit, zumindest
würden sie als solche gebrandmarkt sein.
Diese, und noch viele weitere solcher
Gedanken schossen ihnen allen durch den Kopf. Doch es half nichts, nur darüber
nachzudenken. Die Kugel um sie herum war groß genug, dass sich jeder auf einen
Stuhl oder Masons Schreibtisch fallen lassen konnte, so dass sie sich noch
weitere Minuten in ungemütlicher Stille ansahen. Bis Junye'na selbst die Stille
durchbrach.
„Das ist mehr als nur eine blöde
Situation. Verdammt.“
„Du hast Recht, Bäumchen. Keine Ahnung,
was wir jetzt machen sollen.“, seufzte der Zwerg.
„Diese ganze Situation ist einfach
scheiße.“
Alle starrten sie Psagaros an, der
diesen Fluch mehr hauchte, als tatsächlich aussprach. Dennoch waren sie von
seiner, sonst so bedachten, Wortwahl, etwas überrascht.
„Ich meine, wir haben keine große Wahl,
oder? Wir müssen diesen Auftrag annehmen. Egal, welche Geschehnisse wir damit
lostreten. Es ist prinzipiell die einzige Möglichkeit, in der wir zumindest
dafür sorgen können, dass auf irgendeine Art und Weise Gerechtigkeit
geschieht.“
„Du hast Recht, mein Freund. Ich meine,
auch in meiner Zeit beim Orden bin ich dem König niemals begegnet. Höchstens
hoch oben auf seinem Balkon, der Masse zuwinkend, habe ich ihn mal gesehen,
doch wir wissen nicht, welche Art von König er ist. Ist er grausam oder berechnend?
Großzügig und vorsichtig? Oder einfach nur ein Tor, dessen Handlungen
unvorhersehbar sind? Ich weiß es nicht, keiner von uns weiß das.“
„Das heißt was genau?“, fragte Junye'na
ungeduldig. „Nehmen wir den Auftrag an, ohne zu wissen, wie unsere Zukunft danach
aussieht? Entweder sind wir Helden oder Verräter. Eine andere Möglichkeit sehe
ich nicht.“
Sie schnaubte laut aus und verschränkte
die Arme vor der Brust. Die anderen nickten ihr vorsichtig zu, bis auf Mason,
der ihr nur einen strengen Blick zuwarf.
„Nun mal nich‘ so schnell, ihr jungen
Leute!“, warf er mit schnellen einem Seitenblick auf Bartholomeus ein. „Ihr
vergesst da eine ganz wichtige Kleinigkeit.“ Er hatte ihre Aufmerksamkeit
wieder. „Nur, weil wir gerade das schlimmste annehmen, um uns darauf
vorzubereiten, muss es das noch lange nich‘ sein, versteht ihr? Was is‘, nur
mal angenommen, ihr müsst gar nichts Gefährliches transportieren, sondern nur
die peinliche Briefsammlung seiner Majestät entsorgen? Was is‘, wenn es eine
ganz normale Lieferung is‘ von irgendwelchen Dingen, die da oben gebraucht
werden? Ich hab’s euch ja schon gesagt, auf der Insel kenn‘ ich mich nich‘ aus,
das is‘ sozusagen ein blinder Fleck für mich. Also, bleibt ruhig und hört auf,
so eine Angst zu haben. Wir wissen nich‘, was genau der König von uns will. Wir
wissen nur, dass es ihm wichtig genug is‘, keine offiziellen Wege zu gehen.“
Er lachte einmal sein
charakteristisches lautes, dröhnendes Lachen, bevor er wieder zu ihnen sprach.
„Ich wollt‘ euch damit keine Angst machen. Ich wollt‘ euch lediglich
beibringen, dass nich‘ jeder Mann mit viel Einfluss und Macht immer ein guter
Mann is‘. Und genauso wenig muss er immer ein böser Mann sein. Oder Frau, was
kümmert es mich. Bevor ihr einen Handel eingeht, und sieht er auch noch so gut
aus, is‘ es immer wichtig, alle Möglichkeiten eures Handelspartners zu kennen.
Ganz gleich, ob ihr nun richtige Händler seid, oder nur euren Lebensunterhalt
bestreitet. Ihr müsst immer wissen, wo ihr steht und wer ihr seid, dann könnt
ihr wirklich verstehen, wer euer Gegenüber is‘ und wie der dort steht.“
Ähnlich wie die Elfin verschränkte auch
er jetzt die Arme vor der Brust, jedoch mit einem warmen Lächeln im Gesicht.
Wie bereits einige Male zuvor, und für Marin und Psagaros auch ein sehr
bekanntes Gefühl im Umgang mit Mason, brachte er sie zum Nachdenken und
Grübeln. Sie tauschten nicht einmal Blicke aus, sondern starrten sich entweder
auf die Füße oder Knie. Niemand wollte so recht diese Stille brechen. Sie sind
vom Schlimmsten ausgegangen, ohne das Beste überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Vielleicht war es wirklich bloß der ehrliche Wunsch eines Mannes, der keine
andere Möglichkeit sah, als Hintertüren zu nehmen, um Hilfe zu erhalten. Wer
von ihnen wusste schon, wie es war, stetig in dieser Art Rampenlicht zu stehen
und die Aufmerksamkeit aller, nicht nur der eigenen Bürger, sondern auch der
anderen Reiche und aller intelligenten Wesen auf sich zu ziehen, bei jedem
kleinen Schritt, den man tat. So schnell die Panik auch in ihnen aufgestiegen
war, so schnell war sie durch Masons Worte wieder verflogen. Psagaros war immer
wieder überrascht, wie unglaublich weise der Händler doch war. Dies war nicht
die erste Lebenslektion, die er ihnen erteilte, und der Magier hatte das
Gefühl, dass dies auch nicht die letzte sein würde. Er räusperte sich, nach
diesen schier unerträglichen Minuten der Stille.
„Also gut. Ich denke, wir haben gehört,
was wir hören mussten. Wir nehmen den Auftrag an, als die Hirten Ibalanias. Als
diejenigen, die sich bereits einen Ruf gemacht haben, diesen ganzen Kontinent
zu verteidigen und auf alle aufzupassen. Abenteurer, die ihre Fähigkeiten für
das Gute einsetzen.“
„Ja, du hast Recht.“, pflichtete ihm
sein Freund Marin bei. „Als wir losgezogen sind, vor einigen Jahren, haben wir
uns vorgenommen, Gutes zu tun. Zu helfen, wo wir können, und mit Bartholomeus
und Junye'na an unserer Seite wollen wir noch einen Schritt weiter gehen. Wir
wollen einen wirklichen Frieden erschaffen. Und wenn jemand um unsere Hilfe
bittet, sei es Kind oder König, so bekommt er diese.“
Die anderen drei nickten ihm zu. Viel
zu viele Gedanken hatten sie sich gemacht, als dass es tatsächlich eine
einfache Lösung dafür geben würde. Und was die Zukunft brachte, wusste nur die
Zukunft selbst.
Mason erklärte sich bereit, noch an
diesem Abend alles für die nächsten Tage und die Reise vorzubereiten, die
anderen sollten sich in der Zwischenzeit ein Gasthaus suchen und den Rest des
Abends genießen. Der nächste Morgen wäre schließlich ein weiterer anstrengender
Tag, der, bei dem sie ihren bis dahin größten und wichtigsten Auftrag annehmen
würden.
In aller Frühe fanden sich die Freunde
vor dem großen Gebäude der Händlergilde ein. Ihre letzte Nacht war erstaunlich
geruhsam, was wohl zum Teil der Tatsache geschuldet war, dass sie zum ersten
Mal seit langem wieder in richtigen Betten schlafen konnten. Sie redeten weder
beim Frühstück noch auf dem Weg hierher wirklich viel. Zumindest für Psagaros
war es wohl noch zu früh, der die meiste Zeit damit beschäftigt war, sein
Gähnen zu verstecken.
Sie hatten sich am letzten Abend dazu
entschlossen, den Großteil ihres Gepäcks erst einmal im Gasthaus zu lassen. An
diesem Tage sollten sie lediglich von Mason den Leuten vorgestellt werden, die
ihnen den Gegenstand später überreichen würden. Wohl auch als eine Art
Sicherheitsmaßnahme, um ihre Gesichter zu kennen und ihre Kompetenz zu prüfen.
Das war jedoch nur ihre Theorie. Keiner von ihnen wusste, wem sie heute
begegnen würden und was passieren sollte. Lediglich dass der Händler noch mehr
Informationen für sie hätte. Wann die Reise los gehen würde, mit welchem Schiff
sie segelten, und ob es zeitliche Vorgaben gab. Vielleicht auch einige Details
über die zu erwartenden Gefahren, oder sogar mögliche Hilfen. Wenn der Brief
eines war, dann lediglich verheißungsvoll.
Die großen Schiebetüren, vor denen sie
standen, knackten laut, als jemand diese von innen bewegte. Sie wurden nur
einen Spaltbreit geöffnet, gerade so weit, dass jemand nach draußen schauen und
sie ansehen konnte. Eine zarte, beinahe schon schüchterne Stimme ertönte, die
ihnen mitteilte, dass Herr Landolf gleich da wäre, und sie zu Fuß losgehen
würden. Dann wurden die Türen wieder so schnell zugeschoben, wie sie sich
geöffnet hatten.
Bartholomeus trat ungeduldig von einem
Fuß auf den anderen, Junye'na spielte an einem kleinen Stock herum, Marin sah
nervös die Straße und den Marktplatz entlang, und Psagaros starrte abwesend
weiterhin auf die Tür. Sie waren wohl alle etwas aufgeregt, wie es schien. Doch
es sollte noch einige Minuten dauern, in denen sie nur warteten, bis sich die
Tore abermals aufschoben und ein sehr müde wirkender Mason heraustrat. Er sah
sie alle schweigend an, dann seufzte er tief, schulterte eine riesige, fein
gearbeitete Tasche, und schloss die Tore wieder. Er nickte stumm in eine
Richtung und stapfte los. Die anderen, ohne groß Fragen zu stellen, folgten
ihm.
Sie gingen durch einige Nebenstraßen
der Stadt, durch Gassen, an die sich Marin selbst noch gut erinnern konnte,
gehörten diese schließlich auch zu den speziellen Routen der Paladine der
Stadt, weil sie von außen absolut nicht einsehbar waren. Und genau aus diesem
Grund nahmen sie diesen Weg. Um möglichst unentdeckt zu bleiben und es etwaigen
Verfolgern schwierig zu machen, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Wohin sie genau
unterwegs waren, wusste aber nur Mason. Die anderen folgten ihm lediglich,
ebenso stumm wie er. Junye’na, Bartholomeus und Psagaros, die alle drei noch
nie durch die verwinkelten Wege der Stadt gegangen waren, kam dieser Marsch
schon beinahe wie ein Labyrinth vor. Sie mieden jegliche größere Straßen oder
Gebäude, sondern zwängten sich indes durch beinahe schon zu eng wirkende Lücken
zwischen zwei Häusern hindurch. Doch was beinahe noch schlimmer war als die
verwirrenden Gassen, war der Geruch und der Schmutz, der sich inmitten dieser
Teile der Stadt ansammelte. Neben jeglichem Unrat, der der Menge nach zu
urteilen unmöglich nur von den paar Straßenhunden stammen konnte, lugten
zwischen dem Schlamm auch kleinere Knochenstücke hervor. Nicht groß genug, um zu
einem Menschen zu gehören, doch besorgniserregend genug, dass sie alle nach
einiger Zeit ihre Schals, Roben oder anderweitige Stoffe sorgsam über Mund und
Nase zogen. Und an solchen Orten lebten die Leute. Spielten Kinder. Und wer
weiß, was hier sonst noch geschah. Für einen kurzen Moment spielte Psagaros mit
dem Gedanken, was wohl mit dem ganzen Schmutz passieren würde, wenn es nur
lange genug regnen würde. Würden die Abwasserschächte und -kanäle der Stadt
dieser deutlichen Mehrbelastung überhaupt standhalten? Doch er zwang sich, den
Gedanken zu unterbrechen, als er sich die Frage stellte, was wäre, wenn sie
dies nicht könnten.
Nach fast 40 Minuten Fußweg durch den
schmutzigen Teil der Stadt, führte Mason sie schließlich auf eine Straße, die
keiner der vier kannte. Beinahe erleichtert merkten sie nach wenigen Schritten,
dass sich ihre Schuhe nicht mehr mit einem lauten Platsch-Geräusch vom Boden
lösten und sahen sich um. Der Händler schritt immer noch eilig voran, sodass
nicht wirklich viel Zeit blieb, doch erkannten sie sofort die riesige Mauer,
die sich nur wenige hundert Meter von ihnen entfernt vor ihnen in die Höhe
reckte. Das dort war das Viertel der Adeligen. Der höchsten Befehlshaber und
wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt. Getrennt vom Rest der Bevölkerung, auch
wenn es sich mitten in der Stadt befand. Und was noch viel wichtiger war, es
war mehrere Kilometer vom Königspalast entfernt. Ein Ort also, den der König
selbst nicht besuchen würde. Viel eher kämen die Adligen zu ihm. Warum hatte
Mason sie ausgerechnet dorthin geführt?
Doch es blieb keine Zeit, ihn zu
fragen, da er mittlerweile einige Meter Vorsprung hatte. Schnell schlossen sie
zu ihm auf, weiterhin schweigend, aber mit fragenden und skeptischen
Gesichtern. Und schließlich blieb er vor einem großen Gebäude stehen. Er drehte
sich kurz zu ihnen um, dann lächelte er breit, ehe er auf die riesige,
verzierte Tür deutete.
Oberhalb des dunklen Türrahmens stand
in ebenso verzierten Buchstaben „Badehaus Montclair“. Über die komplette Front
verteilt waren die unterschiedlichsten Symbole und Formen gemalt, dezent in
diversen Blautönen gehalten. Doch was viel beeindruckender war, als die
Fassade, war das Schild, das neben der Tür angebracht war. Junye'na und
Psagaros merkten sofort, dass es tatsächlich verzaubert war. Darauf stand in
feinster Handschrift der Name des Badehauses, gefolgt von einem
Willkommensgeheiß und anschließenden Informationen über Dienstleistungen und
Preise. Für die Elfe stand es dort in elfisch, für den Zwerg in der Sprache der
Zwerge. Jeder, der auf dieses Schild sah, konnte dessen Text also lesen, ganz
gleich, welche dessen Muttersprache war.
Bartholomeus war der erste, der den
Mund öffnete.
„Nun, danke, dass Ihr uns hergebracht
habt, Händler, aber warum sind wir hier?“
Mason lächelte weiter, bevor er ihm
antwortete. „Aus zwei Gründen, offensichtlich. Erstens, wir sind durch so
ziemliche die dreckigsten Straßen der Stadt gegangen, um hier her zu kommen.
Zweitens treffen wir alle den König, da sollt‘ so ein bisschen Wasser und Seife
vorher schon angebracht sein.“
„Ich kann uns aber auch doch ganz
einfach mit einem Zauber sauber machen, das sollte nun wirklich nicht das
Problem sein.“, murmelte Psagaros vor sich hin, immer noch eingehend das Schild
studieren.
„Papperlapapp. Magie hin und her.
Nichts übertrifft ein richtiges Bad. Besonders nich‘, wenn sie die guten Öle
und Düfte verwenden. Wenn wir hier raus sind, duften wir selbst wie die
feinsten Herrschaften.“ Der Händler klatschte laut in die Hände, dann trat er
auf die Tür zu und öffnete sie mit einem Schwung. „Kommt schon, kommt schon,
ich lad‘ euch ein!“
Es war mittlerweile früher Vormittag,
als die vier in einer pompösen Kutsche Platz nahmen. Mason plauderte noch etwas
mit dem Besitzer des Badehausen und steckte diesen einige Münzen zu, ehe auch
er geschwind in den Innenraum sprang und die Tür hinter sich schloss. Auch wenn
das hier nicht seine Kutsche war, so schien er sie und den Kutschführer doch zu
kennen, denn er rief nur kurz dessen Namen, schon setzte sich das Gefährt in
Bewegung.
Der Geruch, der sich im Innenraum breit
machte, war schon fast unerträglich. Die Bediensteten im Badehaus hatten
wirklich nicht mit den Ölen und Duftaromen untertrieben, und sie alle im
Gegenteil nach dem Ankleiden in Parfum getaucht. Und wie es schien, jeden in
ein anderes. Und das Gemisch all dieser unterschiedlichen Gerüche war nach
wenigen Minuten unerträglich, und nach einigen weiteren Übelkeit erregend. Und
als Junye'na die erste war, die sich schützend die Hand vor den Mund hielt, öffnete
Mason geschwind die Tür ein wenig, um etwas frische Luft hineinzulassen. Auch
wenn er von allen noch am unbedarftesten aussah, nahm er direkt einige tiefe
Atemzüge von dem kühlen Wind, der ins Innere zog. Im stillschweigenden
Einverständnis beschlossen sie, lediglich durch den Austausch vielsagender
Blicke, die Tür zumindest alle paar Minuten zu öffnen und ihren Nasen eine Ruhe
zu gönnen.
Sie erreichten ihr Ziel nach weiteren
sieben Lüftungsphasen und kletterten, einer nach dem anderen, aus der Kutsche
heraus. Doch wieder waren sie nicht am oder im königlichen Palast. Dieses Mal
waren sie am Hafen der Stadt. Noch bevor sie den Händler fragen konnten, was er
denn nun mit ihnen vorhatte, traten zwei Gestalten vor sie, in goldene
Rüstungen gehüllt, mit langen, wehenden Umhängen und dem Emblem der
Königsfamilie prominent auf der Vorderseite der Rüstung gemalt. Sie befahlen
den Fünfen ihnen zu folgen, die Hände dabei stets auf den Schwertern an ihren
Waffengurten ruhen.
„Und seid ja leise.“, raunte einer der
Soldaten, bevor sie sich in Bewegung setzten und die wenigen Meter über den
kleinen Platz, an dem sie rausgelassen wurden, gingen, um in ein unauffällig
wirkendes Lagerhaus geführt zu werden.
Dass es ein Lagerhaus war, erkannten
sie sofort. Es türmten sich die unterschiedlichsten Kisten und Fässer in den
Ecken des Raumes, allesamt mit Inschriften, Zetteln, Farbe oder anderweitigen
Kennzeichnungen versehen. Jedes bisschen Platz dort wurde so effizient wie
möglich genutzt, die unterschiedlichen Lieferungen getrennt nur durch kleine
Schnüre, die zwischen den einzelnen Parzellen gespannt waren, und mit gerade
einmal genug Platz dazwischen, um die Ladungen abtransportieren zu können.
Der Gang selbst war einfach, da er nur
geradeaus führte, bis zu einer weiteren Tür, vor der zwei Soldaten postiert
waren. Sie nickten der Prozession kurz zu, dann öffnete einer der beiden die
Doppeltür. Und dahinter kam ein deutlich kleinerer Raum zum Vorschein. Zwar war
er mit teuren Teppichen ausgelegt, doch die generelle Einrichtung ähnelte
tatsächlich der eines herkömmlichen Verwaltungsraumes, wie sie es von Mason
kannten. Doch stattdessen von Büchern und allerlei Aufzeichnungen, befand sich
am hinteren Teil des Raumes ein großer Stuhl.
„Euer Majestät, wir haben die Betrauten
wie Ihr wünschtet hergebracht.“
Die beiden Soldaten, die sie hergeführt
hatten, verneigten sich auffällig und machten die Sicht frei auf den König, der
auf eben jenem Stuhl Platz genommen hatte und sie mit steinerner Miene ansah.
Schnell verbeugte sich auch Marin, dicht gefolgt von Mason und auch Psagaros.
Bartholomeus senkte lediglich kurz den Kopf, Junye'na wiederum hob nur eine
Hand vor ihr Gesicht und schloss die Augen. Da räusperte sich ihr edler
Gegenüber kurz.
„Habt Dank. Aber nun wünsche ich allein
mit meinen Gästen zu sprechen. Verschließt die Tür, wenn ihr geht.“
Einer der Soldaten hob seinen Blick und
begann zu protestieren. „Aber Majestät, Ihr kennt diese Leute nicht, Ihr
solltet Beschützer hier haben!“
„Ihr seid doch direkt vor der Tür,
nicht wahr? Und überdies, wenn ich ihnen nicht vertrauen würde, wären sie wohl
kaum hier. Zweifle nicht an den Worten deines Königs.“
Der Angesprochene senkte seinen Blick
hastig wieder, ehe er, gemeinsam mit dem anderen, tat wie ihm geheißen wurde.
Und kurz darauf fiel die große Tür mit einem lauten Krachen ins Schloss.
Die Sekunden der Stille, die diesem
Geräusch folgten, fühlten sich beinahe an wie Jahre, die nur wie einzelne
Sandkörner hinunterfielen. Bis der König selbst einen lauten Seufzer ausstieß.
„Bitte, richtet Euch wieder auf. Wir
haben nicht sehr viel Zeit und Ihr müsst schneller aufbrechen, als Euch lieb
sein wird.“
Die drei Verbeugenden richteten sich
schnell auf und zum ersten Mal sah die Gruppe in das Gesicht des mächtigsten
Mannes des Reiches der Menschen. Es wirkte ein wenig blass, was aber auch an
der alles anderen als schmeichelhaften Beleuchtung in diesem Raum liegen
konnte, und deutlich älter, als der König eigentlich war. Sein simpler Bart war
kurz gehalten, ebenso wie sein Haar, welches an manchen Stellen bereits zu
ergrauen begann. Auf dem Kopf selbst trug er nicht seine offizielle Krone,
sondern lediglich das viel leichtere Diadem, welches zu Reisezwecken gedacht
war. Er war in nicht so glänzende Gewänder gehüllt, zumindest die Farben waren
sehr schlicht in unterschiedlichen Grautönen gehalten. Er hatte sich etwas auf
dem Stuhl zurückgelehnt, musterte sie alle aber mit einer ehrlichen Neugier.
„Euer Majestät.“ Marin verbeugte sich
noch einmal kurz, des Respektes halber, doch Mason kam allem anderen zuvor.
„Verzeiht mir meine Aufdringlichkeit,
Euer Majestät, doch ich denke hier liegt eine Verwechslung vor. Die Abreise
sollte erst in einigen Tagen stattfinden. Es sind noch Vorbereitungen zu
treffen!“
„Ja, Ihr habt Recht, das war der ursprüngliche
Plan, zu dessen Einigung wir gekommen sind. Aber die Umstände erfordern es nun
einmal, dass wir schneller handeln müssen, als vorgesehen ist. Es… Ich bin
untröstlich.“
Die vier Hirten wechselten kurz stumme
Blicke. Ihr Tagwerk sah vor, dass sie heute mehr Details erfahren würden,
nicht, dass sie direkt aufbrachen. Was konnte so wichtig sein, dass es
keinerlei Aufschub mehr duldete? Und genau das fragte Junye'na.
„Oh. Ihr seid eine Tochter der Elfen.
Aber keine, die innerhalb der Mauern dieser Stadt geboren wurde, nicht wahr?“,
bemerkte der König. „Ah! Verzeiht mir, ich sollte mich auch vorstellen. Ich
weiß, dass Ihr mich meines Standes wegen kennt, doch das ist noch lange kein
Grund, meine Manieren zu vergessen. Mein Name lautet Jonathan Morley Adamus de
Payne, Erster seines Namens und König der Stadt Leramar.“
Er erntete erst einige Momente der
Stille, in der sie sich alle fragten, ob sich tatsächlich der König gerade
ihnen vorgestellt hatte. Dann machten sie es ihm nach.
„Oh, natürlich! Mein Name lautet
Psagaros Falcin, Euer Gnaden. Ein Magier, der hier an der Akademie gelehrt
wurde.“
„Und ich bin Marin Tallhart, ein
Paladin im heiligen Orden der Triade in der Stadt.“
„Bartholomeus Aschenbrand. Ein Zwerg.
Nicht von hier.“
Junye'na verschränkte die Arme. Dann
löste sie sie wieder. Sie sah dem Mann vor ihr direkt in die Augen, nur um
direkt den Blick wieder abzuwenden. „Junye'na Urimys. Tochter von Khiiral
Theyarus'lool Urimys, König des Reiches der Elfen. Also ja, ich komme nicht aus
den Städten der Menschen.“
„Faszinierend! Wahrlich faszinierend!
Verzeiht meine Unhöflichkeit und auch meine Unwissenheit, was wäre eine
angemessene Begrüßung für ein Mitglied aus dem Königshause der Elfen?“
„Eine spezielle Begrüßung… gibt es
nicht. Es ist schon in Ordnung. Bitte, fahrt fort.“
Der König nickte nur kurz, dann
räusperte er sich.
„Nun, ich danke Euch für Euer
Erscheinen, so überraschend es für Euch wohl auch kommen mag. Und ich
entschuldige mich für die Umstände, unter denen wir uns hier treffen. Und bevor
wir zu den Einzelheiten kommen, möchte ich Euch meinen Dank aussprechen. Ihr
-“, und er lässt seinen Blick ganz kurz auf Junye'na ruhen. „Seid Abenteurer,
denen Mason Landolf höchstselbst sehr vertraut. Aus diesem Grund hat er Euch
auch empfohlen, dieses, mein Gesuch, anzunehmen.“
Er nickte ihnen erneut zu, diesmal
jedem von ihnen einzeln.
„Gut, dann jetzt zu dieser Sache, um
die ich Euch bitten muss. Ihr müsst diesen Gegenstand auf den Mammutgipfel
bringen. So viel habe ich Euch bereits in meinem Brief mitgeteilt. Es handelt
sich bei dem Gegenstand um etwas so Wichtiges und Kostbares, dass wir es
unmöglich hierbehalten können. Ich wage es nicht, den Namen auszusprechen, auch
wenn wir hier mit Sicherheit nicht belauscht werden. Es handelt sich um das
letzte Überbleibsel einer Rasse, die wir für ausgestorben hielten, und über die
wir nicht das Recht haben zu verfügen, wie es uns beliebt.
Ein Gegenstand so wertvoll, dass alle
möglichen Organisationen mit einem gierigen Auge darauf schielen würden,
wüssten sie von dessen Existenz. Und genau eine solche Organisation, ein
solcher Feind in den diplomatischen Werten, die wir in diesem Zeitalter
vertreten, wird bereits morgen hier eintreffen. Mit Augen und Ohren überall.
Wenn wir zuließen, dass sie ihre Hände danach ausstreckte, dann wären wir
wahrhaftige Tore.
Ich weiß, ich dränge Euch. Doch uns
allen bleibt keine Zeit. Ich selbst werde mit den sozialen Empfängen
beschäftigt sein, sodass keine Zeit bleibt, die Pläne einzuhalten, die vorerst
angedacht waren. So blieb uns nichts anderes übrig als alle möglichen Hebel in
Bewegung zu setzen, um Euch noch heute mit dem Gegenstand Richtung Alelahar zu
schicken. Für Eure Überfahrt und jedwede Annehmlichkeit ist bestens gesorgt,
auch unter diesen Umständen.
Ich bitte Euch lediglich um Euer
Vertrauen. Nun, und wohl auch um Ausführung des Auftrages, wie mir scheint.
Und, bevor Ihr fragt, ja, der Gegenstand ist hier. In der Kiste, die Ihr auf
diesem Tisch dort seht. Verzichtet bitte darauf, die Kiste zu öffnen, solange
Ihr noch nicht auf der Insel seid. Das ist für Euch alle deutlich sicherer.“
Die fünf sahen zu der simplen Holzkiste
hin, auf die der König deutete, die zumindest von außen keinen sehr bedeutsamen
Anblick bot.
„Wir dürfen also herausfinden, was sich
in ihrem Inneren befindet, sobald wir die Insel betreten haben, ist das
korrekt?“, fragte Psagaros mit etwas Argwohn in der Stimme.
Der König nickte erneut. „Ja, das dürft
Ihr. Ab dort dürfte sich der Transport des Gegenstandes ohne Kiste deutlich leichter
gestalten, schätze ich.“
„Nun, Eure Majestät. Da wir, un‘
eigentlich ja auch ich, den Auftrag bereits angenommen haben, bleibt uns keine
andere Wahl. Natürlich vertrauen wir Euch. Und wenn diese Sache nun einmal
keinen Aufschub duldet, sollten wir wohl jetzt besprechen, wie die Reise nun
weiter geht.“, der Händler faltete die Hände und trat einen Schritt auf den
Monarchen zu. „Die vier benötigen Ihre Ausrüstung und angesichts der fehlenden
Vorbereitungen ihrerseits, solltet Ihr ihnen auch einige andere wichtige Dinge
besorgen, Heiltränke zum Beispiel.“
Für gewöhnlich liefen die Schiffe
morgens oder abends aus dem Hafen aus, und nicht so wie dieses jetzt am Mittag.
Noch dazu reiste es unter der Flagge der Insel Alelahar, was in diesen Gefilden
schon sehr merkwürdig war. Doch es war ein einfaches Lagerschiff, ein Schiff
damit beauftragt, Baumaterialien und andere wichtige Güter zu den neuen
Siedlungen zu bringen. In der Zeit des Aufbaus der Insel also nichts allzu
Unübliches. Doch was unüblich war, waren die Gäste, die mit an Bord waren. Es
siedelten noch nicht viele Leute auf das neue Fleckchen Land, außer
Bauarbeiter, die mit der Errichtung der neuen Hafenstadt betraut waren, sodass
die Seemänner die vier Abenteurer mit Argusaugen beobachteten. Lediglich der
Kapitän dieses Schiffes empfing die Vier mit ausgebreiteten Armen und sicherte
ihnen die absolut beste Behandlung zu, die sein Schiff ihnen bieten konnte. Die
vier lehnten dankend ab. Mason selbst hatte dem König allerlei Nützliches
abgeschwatzt, was sie für diese Reise brauchen konnten. Mehr als genug
Heiltränke, jede Menge Kräuter und Proviant, und für jeden von ihnen neue
Bettrollen und Wechselkleidung. Eben alles, was noch auf die Schnelle besorgt
werden konnte.
Die vier mussten sich eine Kabine im
Inneren des Schiffes auf dem ersten Unterdeck teilen, was ihnen tatsächlich in
die Karten spielte. Sie haben sich schon im Vornherein dafür entschieden, die
Kiste niemals unbeaufsichtigt zu lassen, sodass immer mindestens zwei von ihnen
im gleichen Raum bleiben wollten. Auf diese Art und Weise, ist immer jemand da
und ein anderer kann zur Not die anderen beiden kontaktieren. Die, die nicht im
Raum blieben, sollten ihre Runden auf Deck drehen und die Umgebung im Auge
behalten, dass sie nicht von irgendjemandem oder -etwas überrascht werden
konnten. Die Überfahrt sollte nur zwei Tage dauern, doch wollten sie nichts
riskieren. Nicht mit ihrer aller Leben und dem von Mason in potenzieller
Gefahr.
Doch aller Sorge zum Trotz verlief die
Überfahrt, bis auf die Blicke der Schiffsmannschaft, ereignislos. Sodass sie am
sporadischen Hafen der Insel von Land gingen, manche mit etwas wackligeren
Schritten als andere, aber doch alle zusammen.
Sie sahen sich kurz um, ehe sie ihren
Weg fortsetzten. Noch standen hier nur Barracken und einfache Unterkünfte, doch
die Bauarbeiter erschufen hier wirklich eine Stadt. Erste Wege wurde geplant,
und der große Brunnen, um zukünftig nördlichen Teil der Stadt, wurde derzeit
durch einen unterirdischen Kanal erweitert. Eine neue architektonische Technik,
die sich kluge Köpfe aus Tobuin ausgedacht hatten, mit der etwaige
Überflutungen und unausweichlicher Schmutz und Unrat deutlich leichter entsorgt
werden konnten, ohne den Gestank der alten Städte ertragen zu müssen. Allem
Anschein nach sollte diese Stadt, die noch keinen Namen trug, ein neuer
Handelshafen werden. Ein Ort, den vorher niemand betreten wollte, weil die
Wilden sich die Insel zu eigen gemacht hatten, sollte nun als Anlaufpunkt für
einen jeden gelten. Ein deutlicher Hoffnungsschimmer, ein Zeichen, das gesetzt
werden sollte. Doch so inspirierend der Anblick einer Stadt im Aufbau auch war,
sie mussten weiter.
Die Insel selbst war zwar nur einen
Bruchteil so groß wie der Kontinent, doch damit immer noch ein riesiges
Stückchen Erde. Durch das Voranschreiten der Armee, als Start der
Kolonialisierung der Insel, gab es zumindest einfache Wege, die durch das dicht
beforstete Gebiet führten und zumindest Großteile des Weges deutlich einfacher
machten. So ließen sie also recht schnell die Lichter der Baustellen hinter
sich, um auf der einfachen Sandstraße ihren Weg fortzusetzen. Aber auch hier
hielten sie sich an ihren Plan. Sobald sie sicher waren, weder verfolgt noch
beobachtet zu werden, suchten sie einen Pfad ins Unterholz. Außerhalb jeglicher
Augen und geschützt durch genug Bäume und Büsche, die jedem die Sicht
versperrten, schlugen sie ein behelfsmäßiges Lager auf. Die Nacht wollten sie in
diesem Falle innerhalb von Psagaros Zauber verbringen, um alle weiteren
Gefahren abzuhalten. Und in genau diesem Zauber saßen die Vier nun, gebannt auf
die Holzkiste starrend, die Bartholomeus vor sich abgestellt hatte.
„Also, seid ihr so weit? Wollen wir
doch mal herausfinden, was der König so sehr geheim zuhalten versucht.“, sagte
dieser voller Vorfreude. Die Freunde nickten ihm zu, so rammte er einen Dolch
zwischen zwei Schlitze im Holz, um mit einem kräftigen Ruck den Deckel
aufzuhebeln und so die Kiste zu öffnen. Schnell nahm Marin den Deckel in die
Hände und hob diesen vorsichtig an, während die anderen beiden einen Blick
hineinwarfen.
„W… was? Aber das ist ja-!“, platze
Psagaros heraus, während Junye'na bereits in die Kiste griff.
Heraus nahm sie ein riesiges
silber-blaues Ei, welches von allerlei Linien durchzogen wurde und ein
schuppiges Äußeres hatte.
„Das ist ein Ei.“, stellte sie ganz
simpel fest.
„Ja, und wer hat es gelegt? Zu welcher
Spezies gehört es?“, fragte der Magier sie augenblicklich. „Hast du so etwas
schon einmal gesehen?“
Sie verneinte, während der Zwerg und
Paladin die nun leere Kiste zur Seite schafften.
„Ich habe so ein Ei noch nie gesehen.
Es ist groß und schwer, aber fühlt sich auch sehr merkwürdig an.“
„Gibt es keinerlei Methode,
herauszufinden, was sich im Inneren befindet?“
„Ich kann höchstens versuchen, ob ich
Magie im Inneren spüre und etwas vermuten. Es gibt einen Zauber, mit dem ich es
genauer identifizieren könnte, aber den beherrsche ich einfach noch nicht
korrekt.“
Psagaros seufzte. „Das hatte ich
befürchtet. Aber ich denke wir sind uns alle einig, dass das dort kein
gewöhnliches Ei ist. Sonst hätte uns wohl kaum der König damit betraut, es in
Sicherheit zu bringen.“
Bartholomeus sah zu dem Ei herüber und
legte die Stirn in tiefe Falten, während er nur ein brummendes Geräusch von
sich gab. „Ich krieg‘ das Gefühl nicht los, dass ich sowas schon mal gesehen
hab…“
Die anderen sahen ihn entgeistert an.
Dem Zwerg hätten sie das nun wahrlich nicht zugetraut.
„Aber ich weiß nicht mehr, wieso. Und
bevor ihr mich jetzt mit Fragen löchert: Ich hab‘ wirklich keine Ahnung mehr.“,
antwortete er ihnen, ehe sie zu Wort kommen konnten. „Und was auch immer drin
ist, es muss entweder so gefährlich sein, dass andere es ausnutzen würden, oder
so verletzlich, dass es zwingend geschützt werden muss. Aber wir haben den
Auftrag angenommen, also führen wir den besser auch aus.“
„Du hast Recht, Bartholomeus. Wir
sollten uns erst mal für die Nacht bereit machen und im Morgengrauen
aufbrechen, sobald wir können.“, pflichtete ihm Psagaros bei. „Haben wir
außerdem einen Rucksack, in dem wir das Ei lagern können? Ich denke schon, dass
wir es damit besser transportieren können und weniger auffallen.“
Der nächste Morgen kam rasch. Sie
hatten am Abend zuvor einen ihrer Rucksäcke ausgeleert und den Inhalt auf die
anderen verteilt. Das Ei wurde sicher darin platziert. Allein der Logistik
wegen entschlossen sie sich, Junye'na den Rucksack tragen zu lassen. Im
Gegensatz zu Marin und Bartholomeus würde sie bei Kämpfen nicht Hals über Kopf
lospreschen, sondern sicher in den hinteren Linien bleiben, und ihre Magie war
außerdem nicht so auffällig wie die von Psagaros. Die Chancen standen also gut,
dass sie im Kampf nicht in den Fokus rücken würde. Und wenn alle Stricke reißen
sollten, konnte sie sich immer noch in ein Tier verwandeln und fliehen.
Sie entschieden sich dafür, die Straße
zu nehmen. Falls sie irgendeinem der Einheimischen hier begegnen würden,
während sie sich durch das Unterholz kämpften, wäre das wohl mehr als nur ein
bisschen verdächtig. Außerdem würde sie die Reise deutlich verschnellern, wenn
sie die vorgesehenen Wege nehmen würden. Sie studierten die Karte, die Mason
ihnen von der Insel besorgen konnte. Wenn sie ohne große Rückschläge reisen
konnten, wären sie ihn etwas mehr als einem Monat am Fuße des Mammutgipfels.
Wie lange sie dann bräuchten, um den Berg zu besteigen, wussten sie nicht.
Vielleicht wären auch sie die ersten, die eine solche Besteigung wagen würden.
Fest stand auf jeden Fall, dass ihr mitgebrachter Proviant für ein derartiges
Unterfangen niemals ausreichen würde. Eine simple Kleinigkeit, mit der sie
bereits gerechnet hatten. Und mittlerweile waren sie das Überleben in der
Wildnis mehr als nur gewohnt.
Die ersten paar Tage verstrichen ohne
besondere Vorkommnisse. Erst an ihrem fünften Tag auf der Insel begann der Wald
sich allmählich zu lichten und sie sahen eine riesige Ebene vor sich, sowohl im
Westen als auch Osten das weite Meer neben sich, mit Wellen, die eindrucksvoll
an die Küste schlugen. Sie ließen diesen neuen Horizont ein wenig auf sich
wirken, bis sie sich entschieden hatten, die etwas szenischere Route zu nehmen,
direkt an der Ostküste der Insel entlang. Sie folgten dem durch unzählige
Kutschen gepflasterten Weg, bis sie direkt am Strand waren. Kein ungewöhnlicher
Anblick, schließlich haben sie schon häufiger Wege am Wasser entlang genommen,
doch dieses Mal war es etwas ganz Besonderes. Wenn sie sonst Richtung Horizont
sahen, konnten sie die Insel dort erblicken. Doch dieses Mal sahen sie auf das
Festland herüber. Auf ihre Heimat. Auf den Ort, an dem sie schon so viele
Abenteuer erlebt hatten. Und da wurde ihnen allen schlagartig klar, wie weit
sie es bereits geschafft hatten. Wie viel Strecke sie schon hinter sich
gebracht hatten. Dass sie tatsächlich Abenteurer waren. Mit neugewonnener
Energie ob dieses Anblickes marschierten sie, entschlossener denn je, weiter. Und
direkt an dieser Küste stießen sie auf ein kleines Fischerdorf, das sich erst
vor kurzem dort gegründet hatte. Die Menschen, die dort lebten, begrüßten die
Gruppe mit viel Freundlichkeit und boten Ihnen sogar einen Platz zum Schlafen
an für die Nacht.
Dankbar nächtigten sie in einer der
behelfsmäßigen Hütten und erfuhren von einem der Bewohner des Dorfes, dass sie
als Reisende ursprünglich als große Gruppe in die neue Hauptstadt der Insel,
Bellhast, unterwegs waren, um eben dort ein neues Leben zu beginnen. Doch als
sie ihr Nachtlager dort am Strand aufschlugen, zog ein schwerer Sturm auf, der
drohte, sie alle ins Meer zu ziehen. Da erschien ihnen das Antlitz eines
mächtigen Wesens, eines Gottes, der schützend seine Hände über ihnen
ausbreitete und sie vor dem Wüten und Toben des Meeres schützte, um am nächsten
Morgen, als sich alles wieder beruhigt hatte, inmitten der Wellen verschwand.
Viele der Reisenden sahen dies als ein deutliches Zeichen sich an dieser Stelle
niederzulassen, und den Gott, der ihnen erschien, anzubeten. Und ihm zu ehren
schützen sie die See und den Strand, erzählen Reisenden von den Schätzen und
den Wundern, die sie beim Fischen finden und teilen die Erzählungen mit ihnen.
Auch wenn Psagaros bei vielen dieser Erzählungen ein wenig skeptisch
dreinblickte, und auch Marin die Erwähnung eines ihm unbekannten Gottes
verwundert aufnahm, bedankten sie sich ausgiebig für die Gastfreundschaft und
die Geschichten.
Nachdem sie sich am nächsten Morgen am
kleinen, provisorischen Markt der Siedlung mit etwas Proviant eingedeckt
hatten, setzten sie ihre Reise fort.
Recht bald ließen sie den Strand hinter sich und überquerten eine Ebene,
die an einer großen Bergkette mündete und einen noch gewaltigeren Wald an ihrem
Ende offenbarte. Bevor sie den Wald betraten, entschlossen sie sich, noch eine
Rast einzulegen und die Karte genauer zu studieren. Auch wenn dort zwar eine
breite Straße vor ihnen lag, zeigt ihnen die Karte keinen genauen Weg durch das
Gehölz vor ihnen. Sie diskutieren lange darüber, wie verzweigt der Weg vor
ihnen wohl sein würde, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie sich verlaufen würden.
„Warum eigentlich sind wir nochmal so
pessimistisch?“, fragte Marin in die Runde, die Stirn runzelnd und Richtung
Waldrand blickend. „Wir folgen einfach nur dem Weg so weit wie möglich, für
alles andere kann Junye'na sich doch einfach in einen Vogel verwandeln und uns
von oben Anweisungen geben. Und solange wir eine Wasserquelle haben, oder
Psagaros mit seiner Magie was machen kann, sollten wir auch weder verhungern
oder verdursten. Auch wenn es etwas Besonderes ist, sollten wir nicht so nervös
sein, bloß weil wir ein Ei transportieren.“
Die anderen sahen ihn einen Moment an,
dann stimmten sie ihm zu. Im Grunde hatte er Recht, und durch die Gegend laufen
war nun wirklich nichts, was sie nicht schon hunderte Male gemacht haben. Sie
haben immer einen Weg gefunden, schon irgendwie ihr Ziel zu erreichen.
Am nächsten Morgen, die Sonne war noch
nicht ganz aufgegangen, betraten sie den Wald. Die kleine Straße schlug viele
Kurven, und wie sie befürchtet hatten, gab es auch einige Ausläufer, die ins
Nichts führten. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Stadt
Bellhast die Mittel und die Arbeiter aufbringen konnte, eine tatsächliche
Straße in den Wald zu schlagen. So blieb ihnen also nichts weiter übrig, den etwas
breiteren Trampelpfaden zu folgen, und zu hoffen, die richtigen Wege zu nehmen.
Ihre Nächte verbrachten sie, wie immer, innerhalb Psagaros‘ Schutzzauber, das
riesige Ei dabei sorgsam zwischen ihnen. So vergingen die Tage, in den sie durch den
Wald liefen, ohne unterwegs auch nur einem anderen Reisenden zu begegnen.
Als sie dann am dritten Tag, nachdem
sie zum wiederholten Male einem der falschen Pfade gefolgt waren, auf ihren
Ursprungsweg zurückkehrten, fanden sie eine weitere Abzweigung. Diesmal aber unterschied
sie sich. Es waren Fußspuren zurückgeblieben, eine große Menge sogar und die
meisten davon wirkten wie die riesiger Monster. Sie tauschten einige Blicke
aus, dann, ohne weiter zu zögern, rannten sie den Weg entlang. Nach nur wenigen
Metern hörten sie den grausigen Schrei eines Wesens, welcher ihnen die Haare zu
Berge stehen ließ. Und nach einigen weiteren Sekunden preschten sie auf eine
kleine Lichtung inmitten des Waldes.
Vor ihnen lagen rund ein Dutzend Gnolle
auf dem Boden, allesamt mit unterschiedlichen Wunden und allesamt entweder tot
oder bewusstlos. Und inmitten von diesen Monstern stand jemand, einen Kampfstab
in der Hand haltend. Mit einer fließenden Bewegung schwang die Person den Stab
herum und löste so einiges vom Blut, das sich an dessen Ende befand, ehe der
Stab mit einer ebenso anmutigen Bewegung in die dafür vorgesehene Halterung am
Rücken gesteckt wurde. Was den Vieren direkt auffiel waren nicht die orangenen
Haare desjenigen vor ihnen, sondern der buschige Fuchsschwanz, der ein wenig
nach links und rechts zuckte. Die Person begann sich kurz zu strecken und die
Arme über den Kopf zu reißen, bevor sie sich umdrehte und die anderen aus den
Augenwinkeln heraus bemerkte. Ein breites Grinsen huschte über dessen Gesicht.
„Ah, Entschuldigung, aber ich dachte
mir ich kümmere mich mal eben um die hier. Wenn ihr auch noch ein paar von
ihnen erledigen wollt, kann man manche sicherlich nochmal aufwecken.“, gluckste
der junge Mann vor ihnen. „Oh, ‘tschuldigung, ich sollte mich wohl erstmal
vorstellen. Guss. Mein Name ist Guss. Und ihr seid?“
Er grinste breit und sah abwechselnd
zwischen den Gesichtern der anderen hin und her. Junye'na war die erste, die
ihre Überraschung überwand und zu sprechen begann.
„Junye'na Urimys. Was ist hier passiert?
Wir haben einen Schrei gehört und sind sofort losgerannt. Ist alles in
Ordnung?“ Sie machte einige Schritte auf den Mann mit den orangenen Haaren zu,
bevor dieser die Chance bekam, die Hände zu heben und zu lachen.
„He! Keine Sorge. Mir geht’s super. Ich
hab‘ bei meiner Wanderung durch den Wald wohl einfach nur eine Gruppe von den
Viechern aufgeschreckt. Und da die dummerweise ziemlich aggressiv sind, musst
ich sie kurzerhand verprügeln.“
„Ihr habt das ganz allein gemacht?“,
Bartholomeus zog fragend eine Augenbraue hoch. „Das sind mehr als ein Dutzend
Monster. Und Ihr habt die alle ganz allein besiegt und nicht mal einen einzigen
Kratzer davongetragen?“
„Ähm. Schätze schon?“
„Hmpf.“, brummte der Zwerg nur, der
sich neben einen der Gnolle kniete und dessen Körper untersuchte. Sowohl der
Schädelknochen als auch einige Halswirbel waren durch einen gezielten Hieb
gebrochen worden. Er nickte Marin zu, bevor er wieder aufstand und den Fremden
vor ihnen argwöhnisch betrachtete.
„Ähm. Stimmt was nicht?“
„Der Bursche hier…“, begann
Bartholomeus, den Blick nicht von ihm abwendend. „Ist ein starker Kämpfer. Er
hat genau die Schwachstellen getroffen. Und das in einem Kampf alleine gegen so
viele Gegner. Das ist bemerkenswert.“
Die anderen drei blieben stumm, während
sie zu dem Zwerg sahen, der eine Hand wie zufällig auf einem seiner
Schwertgriffe ruhen ließ.
„Danke! Meistens komme ich ganz gut
zurecht.“
Junye'na sah kurz zu dem Zwerg zurück
und verdrehte die Augen, als sie dessen Hand bemerkte. Dann machte sie einige
letzte Schritte auf Guss zu
„Ich finde es bemerkenswert, dass wir
einfach so in einem Wald auf einer Insel einen so starken Kämpfer treffen. Was
genau verschlägt Euch hierher?“, fragte sie ihn, während sie ihn vorsichtig
musterte und nach Verletzungen Ausschau hielt.
„Oh, ähm. Ich suche nach etwas.“
„Ihr sucht nach etwas? Nach was?“
Er druckste ein wenig herum, bevor er
antwortete. „Um ehrlich zu sein weiß ich das auch nicht so genau.“
„Hrmpf! Hoch verdächtig!“, brummte
Bartholomeus, bevor er von der Elfin einen mahnenden Blick zugeworfen bekam.
„Ich weiß, wie das wirkt. Besonders auf
eine Gruppe Leute, die zum Kampf gerüstet sind. Aber ich suche wirklich nach
etwas. Nach einem Grund, zu kämpfen, oder zu reisen. Einfach irgendetwas, was
einen antreibt. Das klingt wohl ziemlich ziellos. Vielleicht bin ich das auch. Ich
weiß nur, dass ich weiterreise, bis ich gefunden habe, was ich suche.“
Die vier Freunde sahen ihn kurz
skeptisch an, ehe sie gegenseitig Blicke wechselten.
„Nun ja. Ich kann nicht sagen, dass wir
uns stark davon unterscheiden.“, fing Psagaros an. „Ich meine, wir arbeiten
jetzt zwar an einer wichtigen Aufgabe, aber eigentlich reisen wir auch einfach
nur herum und tun, was wir denken, das getan werden muss.“
„Ganz genau!“, pflichtete Junye'na ihm
bei, eine Hand auf Guss‘ Schulter legend. „Und genau aus diesem Grund schlage
ich vor, dass Guss uns beitritt!“
„Warte, wo kommt das auf einmal her?“,
fragte sie Marin, der ebenso überrascht aussah, wie alle anderen.
„Na, es ist doch so. Wir reisen durch
Ibalania und überall hin, wo wir gebraucht werden. Wir wollen den Leuten
zeigen, dass wir zusammenarbeiten können, auch wenn wir so unterschiedlich
sind. Und Guss ist genauso! Er ist anders, und ein Reisender!“
Die anderen, und auch Guss, sahen sie fragend
an.
„Ähm. Danke Jun, aber ich weiß nicht so
recht. Ich meine, ihr seid alle schon Freunde und so, und reist auch gemeinsam
durch die Gegend. Und scheinbar seid ihr schon auf einem Auftrag.“
„Jun?“
„Oh, ja, als eine Art Spitzname.
Niemand kann doch ernsthaft ständig Junye'na
sagen, ohne über seine eigene Zunge zu stolpern. Das ist viel zu lang und
kompliziert.“
Die angesprochene schmollte kurz, ehe
sie wieder das Wort ergriff. „Na gut, Ihr habt Recht, Guss! Aber trotzdem! Ihr
alle müsst mir doch zustimmen, dass wir einen starken Kämpfer immer gut
gebrauchen können. Und Platz für einen neuen Freund haben wir auch immer.“
„Sie hat mit allem was sie sagt nicht
ganz unrecht.“, meldete sich der Paladin zu Wort. „Besonders hier, und
besonders bei der Richtung und Region, in die wir unterwegs sind, kann mehr
Kampfkraft ganz sicher nicht schaden.“
„Seht ihr, sogar Marin stimmt mir zu!“
„Aber, und das sage ich mit dem
höchsten Respekt,“, setzte er seinen Gedanken fort. „wissen wir leider absolut
nichts über Euch Guss.“
„Keiner von euch dreien wusste auch
etwas über mich! Also habt ihr mich kurzerhand kennen gelernt und eingeladen.
Wo ist also der Unterschied jetzt zu Guss?“
Ihre Kameraden sahen Junye'na etwas
verdutzt an. Dann lächelte Psagaros kurz.
„Naja, wenn du es so sagst, hast du
natürlich Recht. Wir haben uns ja alle erst richtig auf unseren gemeinsamen
Reisen kennen gelernt. Und Guss wirkt sehr fähig. Ich bin dafür, dass er uns
begleitet! Wenn er das denn möchte, versteht sich.“
„Was? Bist du dir da sicher, Junge?“,
warf Bartholomeus ein. Dann besah er sich den jungen Mann mit dem Fuchsschwanz noch
einmal genauer. Dieser wisch seinem Blick nicht aus, sondern nickte ihm
stattdessen verständnisvoll zu. Dann seufzte der Zwerg einmal tief. „Ihr habt
ja recht. Alle beide. Auch wenn’s mir nicht gefällt. Der Kerl scheint einiges
zu können, und wir sind schließlich auf einem Auftrag, der sehr wichtig ist.
Helfende Hände schaden nie.“
Er machte die wenigen Schritte auf Guss
zu und streckte eine seiner Hände aus. Sein Gegenüber griff etwas zögerlich
danach, um sogleich mit einem starken Ruck zu Bartholomeus gezogen zu werden.
„Aber ich werd‘ dich trotzdem im Auge behalten, nur um ganz sicher zu sein.“
„Anders würde ich es nicht wollen.“,
wurde ihm entgegnet. Dann ließen sie einander los.
„Also…“, fing Marin an, ehe er von
Junye'na unterbrochen wurde.
„Sehr gut! Das heißt, wir sind alle
dafür! Dann lasst uns endlich weiter gehen und diesen Gipfel erreichen!“
Sie reckte einen Arm in die Höhe, bevor
sie sowohl den Magier als auch den Paladin an den Armen packte und hinter sich
her zog. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, und der geht sich
schließlich nicht von alleine!“