»Ihr fragt: Was ist die Form der Ungeschaffenen? Was ist ihr Fleisch? Sind sie nicht unterscheidbar an ihren Hörnern? Haben sie nicht viele Arme? Ist ihr Blut nicht Säure? Welches Haus baut man aus Rache? Wie schwer ist der Mühlstein der Seelenmühle? Ich aber sage: Die Form, die ihr ihnen zuschreibt, ist nicht. Denn wo ihr sagt, sie seien, da ist keine Form. Was wir sehen, fühlen, riechen, ist Schleier und Verhüllung. Und wo ein Wille ist, da ist auch ein Blick hinter den Schleier. Begreift, dass es Wille ist, der Ungeschaffene zur Existenz ruft, der das primordiale Nichts in eine Gussform gibt. Die Beschränkung der Form ist daher nichts denn eine Beschränkung des Willens. «
—aus Metaspekulative Dämonologie; Borbarad, um 600 BF
Wenn man den gängigen aventurischen Theorien über die Sphären- struktur sowie über das Wesen der Götter und Dämonen Glauben schenken darf, so finden sich auch im Chaos der Niederhöllen noch Spuren von Ordnung. Ob dies verzweifelte Versuche des Geistes der Sterblichen sind, Unverständliches begreifbar zu machen, ob es sich um eine nur momentan so vorliegende Struktur oder um eine kosmologische Notwendigkeit handelt, kann und wird hier nicht endgültig geklärt werden. Als Erklärungsmodell für bestimmte jenseitige Phänomene funktioniert die hier präsentierte Struktur jedoch hinreichend gut.
In eingeweihten Kreisen heißt es, dass die Siebte Sphäre unterteilt in eine Anzahl sogenannter Domänen ist. Für die einen sind diese Herrschaftsbereiche einer konkreten, mächtigen Wesenheit, eines Erzdämons, für die anderen ein unscharf abgetrennter Bereich des Chaos, in dem ähnliche Gesetzmäßigkeiten herrschen. Schon bei der konkreten Anzahl der Domänen scheiden sich die Geister: Allgemein geht man von zwölf, den alveranischen Göttern entgegengesetzten Bereichen aus. Ältere Überlegungen aber oder solche aus nicht dem Zwölfgötterkult anhängenden Kulturen nennen hier auch größere Zahlen (selten weniger). Typisch scheint die Zuordnung der Domänen und ihrer Bewohner zu einem Prinzip, meist einer Perversion des Strebens der Sterblichen (Ur-Frevel wie Rachsucht, Tyrannei, Blutdurst etc.) oder der natürlichen Ordnung (anti-elementare Prinzipien, Untote). Da die Kraft und der Einfluss der Siebten Sphäre ja auf geraubtem oder erschlichenem Nayrakis und Sikaryan – auf Seelen und Astralkraft – beruhen sollen, ist dies inneraventurisch sicherlich keine grundfalsche Annahme. Die Zuordnung bestimmter Dämonen zu den einzelnen Domänen ist jedoch nicht immer eindeutig, aber es gibt ja auch durchaus Überschneidungen zwischen Rachsucht und Blutdurst oder zerstörerischem Wasser und Untoten.
Die zweite Ordnungsstruktur ist die (derische) Macht der einzelnen dämonischen Wesenheiten. Die Dämonologie und die Theologie unterscheiden hier zwischen den Domänenherrschern oder Erzdämonen, ihren höheren Dienern, den Gehörnten Dämonen, und ihrem ‘Fußvolk’, den Niederen Dämonen. Die Macht der Gehörnten Dämonen wird weiter unterschieden nach der Zahl ihrer ‘Hörner’. Und in der Tat weist ihre derische Erscheinungsform je nach Macht eine steigende Anzahl hornartiger Auswüchse auf. Außerhalb dieser Klassifizierungen stehen einzelne dämonische Wesenheiten oder Gruppen solcher, die uns noch wesensfremder und deshalb unbekannter sind. Sie erscheinen in den verschiedensten Formen und gelten allgemein als mächtige Gehörnte Dämonen. Einige von ihnen sollen gar den Erzdämonen an Macht gleichkommen. Dies und die Tatsachen, dass sich alle beschwörbaren Dämonen (Niedere und Gehörnte) mit einer einzigen Formel rufen lassen und dass ein und dieselbe Klasse von Dämonen mal mehr, mal weniger Machtfülle besitzt, stellt allerdings auch diese Ordnung zumindest in Frage.
Über all dem soll der Dämonensultan thronen, ein Wesen unaussprechlicher Macht, das in einigen Mythologien als ebenso ‘primordial’ und ‘pluripotent’ angenommen wird wie Los und Sumu. Allerdings hat es sich noch niemals einem Beschwörer offenbart, da es sich angeblich nur aus seinem schreck- lichen Wirken erkennen lässt und am Ende der Tage die Heerscharen der Niederhöllen gegen die Bastionen der Ordnung führen soll. Woher die einzelnen Erzdämonen stammen, ob sie Schöpfungen des Dämonensultans sind oder aus dem Kosmos verbannte Götter, Ur-Unwesenheiten oder Verdichtungen der Chaosstruktur, ist Gegenstand von Spekulation, Philosophie und Theologie – und allgemein eine Ansammlung an Fragen, die von einem gesunden Geist und einer intakten Seele besser nicht gestellt werden sollten.